Der Berliner Kupferstecher Georg Friedrich Schmidt schuf Mitte des 18. Jahrhunderts einige Stiche im Stile Rembrandts:Wie viele deutsche Künstler des 18. Jahrhunderts hatte auch der 1712 in Schönlinde bei Berlin geborene Schmidt mehrere Jahre in Paris verbracht, um sich am Vorbild der französischen Malerei und Kupferstechkunst zu schulen. Mit einem Empfehlungsschreiben von Antoine Pesne, dem aus Paris stammenden preußischen Hofmaler, bekam er Zugang zu den Ateliers von Nicolas Lancret und Nicolas de Larmessin, wo er seinen Stil und seine technischen Fertigkeiten im Kupferstich verfeinern konnte.Vermittelt durch den Verleger Odieuvre, lernte er Hyacinthe Rigaud kennen und durfte auf eigenen Wunsch hin nach Rigauds Bildnis des Grafen Evreux stechen, wodurch er sich die Anerkennung des berühmten Porträtmalers erwarb. Mit einem Stich nach Rigauds Bildnis des Malers Pierre Mignard wurde Schmidt 1742 sogar in die Académie Royale aufgenommen, was für einen deutschen und zudem protestantischen Künstler in Paris eine große Auszeichnung war. Im Gegensatz zu seinem Freund Johann Georg Wille (1715-1808), der sich fest in Paris etablierte, kehrte Schmidt 1743 mit seiner Ernennung zum preußischen Hofkupferstecher nach Berlin zurück.
Durch sein in Paris erworbenes Ansehen war ihm die Fortsetzung seiner Karriere am Hof des ganz am Vorbild der französischen Kultur orientierten Preußenkönigs Friedrich dem Großen gesichert.
Auch in Berlin war Schmidt überwiegend mit Porträtaufträgen beschäftigt. Die recht großformatigen Arbeiten, die bis 1757 entstehen, atmen nicht mehr den durch Draperien und pompöses Beiwerk bestimmten Grand Goût der Pariser Zeit, sondern geben sich, dem gewandelten Zeitgeschmack folgend, bürgerlicher und realistischer. 1757 beruft die russische Zarin, Elisabeth Petrowna, Schmidt nach Rußland, wo er ihr Porträt nach einem Gemälde von Louis Toqué stechen und eine Schule gründen soll. Von Friedrich dem Großen beurlaubt, reist Schmidt nach Petersburg, um den Wünschen der Zarin nachzukommen. Die Tätigkeit als Lehrer nimmt ihn dort so in Anspruch, daß er während seines fünfjährigen Aufenthaltes nur wenige Porträtstiche ausführt, darunter natürlich das großformatige Porträt der Zarin in Ornat und Insignien, ganz der Tradition des französischen Portrait d'Apparat folgend. Fern von seiner Heimat entstehen in Petersburg aber auch das radierte Bildnis seiner Frau Dorothée Louise Viedebandt sowie sein eigenes "Selbstbildnis mit der Spinne".
Ein erstes Selbstbildnis hatte Schmidt bereits 1752 radiert. Die während seiner Lehrjahre bei Georg Paul Busch, einem mittelmäßigen Berliner Porträtmaler und -stecher, gelernte Technik betrieb er seit seiner Rückkehr aus Paris neben seinen als Kupferstiche ausgeführten Porträtaufträgen zu seinem privaten Vergnügen. Erst nach seiner Rückkehr aus Rußland sollten auch radierte Auftragsarbeiten entstehen, so z. B. Illustrationen zu einer Prachtausgabe der "Poésies Diverses" Friedrichs des Großen.
Auch auf dem früheren Selbstbildnis stellt sich Schmidt mit der Zeichenfeder arbeitend dar; die Augen durch einen weichen Hut verschattet, doch liegt hier die Konzentration des Künstlers ganz bei ihm selbst. Es ist ein Bild der Selbstbefragung ohne jedes ablenkende Motiv, ein klassisches Selbstbildnis. Das Déjà-Vu-Gefühl, das sich bei Schmidts sechs Jahre später in Petersburg entstandenem Selbstbildnis einstellt, erklärt sich mit einem Blick auf Rembrandts radiertes Selbstbildnis von 1648 (Abb. 4). Tatsächlich begeisterte sich Schmidt wie so viele Künstler seines Umfeldes, so z. B. auch sein Freund Wille in Paris, Johann Gottlieb Glume (1711-1778), Joachim Martin Falbe (1708-1782), Daniel Chodowiecki (1726-1801) und Christian Bernhard Rode (1725-1797) in Berlin, sehr für die Radierkunst des holländischen Meisters.
Die Wiederentdeckung der Rembrandtschen Kunst seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert muß vor dem Hintergrund der an den Akademien vertretenen Lehre mit ihrem starren Regelkanon betrachtet werden. Gerade das flüchtige, unvollendete, oft jähe, geistreiche Element, vor allem aber das Malerische, das Clair-Obscur in den Gemälden und Radierungen Rembrandts fand bei den zu strenger Linearität, ausgeglichener Farb- und Lichtwirkung und ausgewogener Komposition erzogenen Künstlern des 18. Jahrhunderts Anklang. "Dans le goüt de Rembrandt" zu malen und zu radieren, bedeutete eine antiklassische, antiakademische Position einzunehmen, war mithin ein Zeichen künstlerischer Freiheit und Selbstbehauptung, auch in der Themenwahl: Mit dem großen Vorbild der Holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts war auch die Wahl eines niedrigen, genrehaften Sujets gerechtfertigt. Rembrandts Kunst wurde aber den eigenen Vorstellungen oder den Erwartungen des Auftraggebers gemäß assimiliert und variiert. In Schmidts Nachlaß haben sich mehrere Radierungen Rembrandts gefunden und sogar eine unvollendete Radierplatte des Meisters, die Schmidt in seinem Stil vollendet hat.
Vergleicht man nun Schmidts Selbstbildnis von 1758 mit Rembrandts berühmter; in vier Druckzuständen erhaltener Radierung von 1648, so sind doch, bei allen Gemeinsamkeiten in der wiedergegebenen Situation - der an seinem Zeichenpult arbeitende und aufblickende Künstler; dessen Gesicht durch ein Fenster zu seiner Seite beleuchtet wird - die Unterschiede eklatant.
In der allgemeinen Porträtauffassung kommt Schmidt mit seinem Selbstbildnis von 1752 dem Rembrandtschen Vorbild bei weitem näher; haben wir es hier doch gleichfalls mit einer nüchternen Selbstbefragung in einem schlichten Umraum zu tun. Aber welche Gegensätzlichkeit im Blick der Künstler! Rembrandts bohrend fragendem Blick, in dem man fast einen Anflug von Verzweiflung zu lesen vermeint, stehen in Schmidts Selbstbildnissen weiche, freundliche Gesichtszüge gegenüber. Er macht hier wie dort einen zufriedenen, selbstgenügsamen Eindruck.
Der Blick aus dem Bild heraus, die Geste der linken Hand vermitteln auf dem Selbstbildnis von 1758 zudem noch den Habitus eines Lehrenden. Während Rembrandt also alle Konzentration auf Selbstbeobachtung, ja zermürbende SeIbstanalyse legt und keinem anderen Bildmotiv Bedeutung schenkt - der Landschaftsausschnitt im Fensterrahmen wurde der Radierplatte erst im 18. Jahrhundert hinzugefügt, um das Blatt besser verkäuflich zu machen - gibt sich Schmidt erzählerischer. Den bei Rembrandt frei und unbestimmt belassenen Raum schmückt er motivisch aus. Durch Kopfhaltung und Gestik ist seine Selbstdarstellung auch kompositionell in das Gefüge der Bildgegenstände eingeordnet.
Während der Gegensatz von Helligkeit im Fensterrahmen und vorherrschendem Raumdunkel bei Rembrandt beunruhigend, fast bedrohlich wirkt, sind bei Schmidt die Übergänge von der lichten Landschaft zum Dunkel des Raumes feiner abgestuft und durch die verschiedenen Motive unterbrochen.
Auch in der Führung der Radiernadel bestehen erhebliche Unterschiede zwischen dem Künstler des 18. Jahrhunderts und seinem Vorbild.
Während Rembrandts Duktus in allen Bereichen spontan, informell und kritzelnd ist, bleibt Schmidt auch in der Radierung der technischen Perfektion des Kupferstiches mit seiner geordneten, regelmäßigen Linienführung verpflichtet. So spiegelt auch die Radiertechnik Schmidts die Grundhaltung seiner Porträtauffassung wieder: Ruhig und besonnen zeigt er sich als Künstler; dem man seine Zufriedenheit über seine Karriere und soziale Anerkennung, auch in dem fremden Land, in dem er zur Zeit der Bildentstehung tätig ist, ansieht. So wie der Landschaftsausschnitt, den man durch das Fenster erblickt, müssen auch die anderen Motive des Bildes offensichtlich auf die Realität der Biographie Schmidts bezogen werden. Während der Degen für eine sechs Jahre dauernde Zeit beim preußischen Regiment steht - Schmidt wurde 1730 einberufen und mußte seine Ausbildung unterbrechen -, deutet die Violine auf seine musikalische Veranlagung hin.