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Beim Kupferdrucker in Berlin
Gute Freunde hatten mir inzwischen in der Seilergasse ein nettes Zimmer mit gutem Licht versorgt, ich wurde auch mit Geld unterstützt, das ich sehr bald zurückzahlen konnte,
und mit Feuereifer stürzte ich mich auf meine lang ersehnte Arbeit. Als 1896 ein Reisestipendium für Radierer und Kupferstecher ausgeschrieben wurde,
übte ich mich in dieser Kunst und bald hatte ich eine größere Anzahl, Platten radiert und gestochen.
Besonderes Interesse für meine Arbeiten zeigte der Generaldirektor von Seydlitz, er hatte verschiedene Studien aus dem zoologischen Garten und dem Versorghaus gekauft und forderte mich auf, mich an. ihn zu wenden, wenn ich einmal in Not, besonders in Geldnot wäre. Da in Dresden keine geeigneten Drucker aufzutreiben waren, beschloß ich, meine damals radierten Platten beim Drucker O. Felsing in Berlin drucken zu lassen, der einen ausgezeichneten Ruf genoß. Die Reise nach Berlin und der Aufenthalt dort überstiegen freilich meine finanzielle Leistungsfähigkeit, und so entschloß ich mich, mir 100 Mark bei Herrn von Seydlitz vorstrecken zu lassen. Trotz des mir zuteil werdenden herzlichen Empfanges bat ich ihn auf seine Frage, wieviel Geld ich benötige, in meiner Schüchternheit statt um die 100 Mark nur um 20, die mir sofort ausgehändigt wurden. Damit konnte ich freilich schwerlich auskommen, errechnete ich mir. Aber ich machte mich auf die Reise und auf der Abfahrt dachte ich nur an meine Platten und meine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Frage, ob ich das Stipendium erhalten würde. Ich eilte, am Ziele angekommen, sofort zu Felsing, bei dem ich mich schon angemeldet hatte. Das Papier war schon gefeuchtet und der Druck begann. Felsing fragte nach Betrachtung meiner Platten‚ ob ich sie wohl verkaufen würde. Ich glaubte, nicht recht zu hören und bejahte die Frage. Sogleich benachrichtigte Felsing den Kommerzienrat Ernst Seeger, der auch noch während des Druckes erschien, mit dessen Erfolg ich recht zufrieden war. Seeger bot mir 10.000 Mark und stellte seinen Besuch bei mir in Aussicht, um noch Oelstudien und Zeichnungen zu erwerben. Ich glaube, mir haben vor freudigem Erschrecken die Knie geschlottert und ich wäre am liebsten allein gewesen, um meiner großen Freude irgendwie Ausdruck zu verleihen. Mit dem Gelde in der Tasche eilte ich au meiner bescheidenen Herberge, die ich stolz verließ, um sie in ein Zimmer im Askanischen Hofe einzutauschen. Dort nahm ich zunächst ein reiches Abendessen ein. Offengestanden kam ich in meiner Aufregung gar nicht so recht auf den Geschmack der guten Sachen. Immer fühlte ich nach, ob ich das Geld noch in der Tasche hatte und schon gegen acht Uhr abends zog ich mich in mein feines Zimmer zurück, in dem ein mir bis dahin unbekanntes Reformbett meinen besonderen Gefallen fand. Ich verschloß sorgsam die Zimmertür, verhängte das Schlüsseloch, sah unter das Bett und in den Kleiderschrank - ich war allein. Jetzt zählte ich des öfteren mein Geld durch, versteckte es unter meinem Kopfkissen, legte mich gleich in Bett und schlief schnell ein. Die nächsten Tage verwandte ich zu Studien im Berliner Zoologischen Garten, von dem ich viel gehört hatte und die dort entstandenen Blätter brachte ich erst gar nicht mit nach Dresden. Herr Seeger kaufte mir einen indischen Elefanten und ein Rhinozeros gleich für 500 Mark ab, als ich seine Sammlung mit Bildern von Böcklin, Leibl, Klinger, Lenbach, Liebermann und anderen besichtigen durfte. Nach Hause zurückgekehrt, ließ ich die Berliner Drucke gut in Kartons legen und rahmen und erhielt darauf 1897 den Rompreis in Höhe von 6000 Mark. Damit war ich jeder Geldsorge enthoben. Jetzt mietete ich ein schönen Atelier mit Ober- und Seitenlicht und nun begann die Arbeit erst richtig. Ich konnte mir Modelle halten und bestes Zeichen- und Malmaterial anschaffen.
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Der Rompreis führt mich nach Italien
Eine Italienreise schwebte mir vor und ich trat sie an.
Ich studierte fleißig im Baedeker das Land und auch die Studien der Romantiker, die ich im Kupferstichkabinett in Dresden oft betrachtet hatte. In Frankfurt machte ich Station. Prof. Dr. Lehrs, der Direktor des Kupferstichkabinetts in Dresden hatte mir eine Empfehlung an Hans Thoma mitgegeben. Thoma hieß mich herzlich willkommen und zeigte mir alle seine Arbeiten. Auch in Frankfurt besuchte ich studienhalber den Zoologischen Garten. Die dort entstandenen Blätter fanden Thomas vollen Beifall und er meinte, er wurde es mit Freuden begrüßen, wenn ich mich in Frankfurt ansässig machte. Aber ich war im Geiste schon in Italien und freute mich auf eine Fahrtunterbrechung in Basel. Die Schweiz, auch ein mir bis dahin unbekanntes Land mit ihren anderen Menschen, ihrer Sprache, ihren Bergen und in Basel mit seinen Kunstschätzen, interessierte mich brennend. Ich denke an die wundervollen Randzeichnungen von Holbein und seinen liegenden Christus im Grabe, die ausgezeichneten Böeklins und seine Masken an der Kunsthalle.
Wie dankbar war ich meinem Geschick, das mich diese herrlichen Kunstwerke sehen ließ. Von Basel aus ging es nach Luzern.
Ich genoß den gewaltigen Eindruck, den die Natur schon bietet,
wenn man aus dem Bahnhof tritt. Hier wurde mir die Tellsgeschichte wieder lebendig am Vierwaldstätter See. Ich sah Wilhelm Tell förmlich sein Boot abstoßen. Der Pilatus mit seinen Hörnern begeisterte mich und ich bedauerte nur, daß ich nicht alles zeichnen und malen konnte. Weiter ging die Fahrt nach Florenz und Rom, sie dauerte mir viel zu lange, überall fand ich Motive, die der Darstellung wert gewesen wären. Ich verhielt mich ziemlich stumm, da ich die Landessprache nicht beherrschte. Die drei bis vier Worte, die ich italienisch sprechen konnte, reichten meist dann nicht aus, wenn ich die fehlenden durch Minenspiel und unter Zuhilfenahme der Hände zu ersetzen suchte. Im Bahnhofslärm von Florenz stand ich recht einsam. Die Aussicht vom Bahnhof auf die Stadt enttäuschte mich, ich hatte gleich am Bahnhofe Perseuse mit Medusenhäupern zu sehen gehofft. auch Michelangelos, Botticellis und dergleichen. Doch mein Baedeker führte mich richtig und bald fand ich das, was mich nach Florenz gezogen hatte und ich war von den Perlen florentinischer Kunst hell begeistert und sprachlos über den Palazzo Vecchio, den David von Michelangelo, über Veroccio: den Knaben mit Fisch, über den Perseus mit dem Haupte der Medusa von Cellini, den Palazzo degli Uffizi mit seiner Sammlung, wohl der besten der Welt. Bald merkte ich, daß bei uns doch vieles nur glatte Nachahmung ist und verstand auch bald, daß Künstler, die dem Echten zustreben gern hier lebten, um angeregt zu werden. Palazzo Vecchio Hof mit den Brunnen und die schöne Architektur gaben mir eine einzigartige Stimmung. Insbesondere auch die Loggia dei Lanzi mit ihren Plastiken. Holbein und Dürer machten in der Fülle bester Kunstwerke recht gute Figuren. Der Dom, das Baptisterium mit den Bronzetüren, das Findelhaus mit den Andrea dello Robbia, den großartigen Palästen, wie Palazzo Pitti usw. Das alles wurde eingehend besichtigt und abends kam ich müde und hungrig im Hotel an, wo mir die Makkaroni mit Käse und ein Fläschchen einfacher Landwein vortrefflich mundeten. Ich besuchte auch Prof. Ernst Moritz Geyger, der früher Lehrer an der Dresdner Akademie gewesen war und auch mich für kurze Zeit unterrichtet hatte. Er wohnte außerhalb der Stadt, in Marinello, einem früheren Landgute des Papstes Leo XIII. Hier hatte er sich ein riesiges Atelier errichten lassen, in dem er gerade den Stier modellierte, ein wundervolles Kunstwerk, das ein antikes Werk hätte sein können. Das nach dem mir von Geyger geschenkten Modell des Stieres gegossene Standbild ist in Dresden bei einem Luftangriff untergegangen. Unter Geygers Führung habe ich die Sehenswürdigkeiten in Florenz gründlich kennen gelernt und verstanden, daß er sich gerade diese Stadt zum dauernden Wohnsitze erwählt hatte, paßte doch seine Kunstanschauung glänzend zu Florenz. Ich zeichnete bei ihm landschaftliche Motive und einen Esel von vorn und von der Seite. Die Bilder fanden Geygers höchsten Beifall. Öfters machte ich mich schon morgens um 6 Uhr auf den Weg zu ihm. Dabei traf ich eines Tages einen Herrn, der mich schüchtern mit "Signore" ansprach, weil er mich wohl für einen echten Italiener hielt. Ich vermutete richtig einen Deutschen in ihm und sagte ihn, er könne ruhig deutsch mit mir sprechen. Er war glücklich und berichtete mir, daß er schon acht Tage lang als Stummer herumlaufe, weil sein italienisch niemand verstehe. Er bat mich, ihn unter meine Fittiche zu nehmen, doch das konnte ich bei meinem geringen italienischen Wortschatz nicht tun. Er wußte übrigens genau, wo man recht gut speisen konnte. Eines Tages ging an meinem Hotel eine Krankenschwester in ihrer eigentümlichen Tracht mit ihrer großen Haube vorüber. Die Tracht reizte mich so, daß ich ihr mit Gesten und Mimik zu verstehen gab, daß ich ihre Tracht zum Malen brauche. Sie verstand mich nicht, auch mein Augenrollen á la briganti nutzte mir nichts, endlich machte ihr der Portier klar, daß ich Maler sei und ihre Tracht kaufen wolle. Für 40 Lire sollte ich das schon abgetragene Kostüm erhalten, in einer Stunde würde sie mir's bringen. Sie kam auch wirklich, ich zahlte den Kaufpreis und 10 Lire als Belohnung. Ihr: 'Grazie Signore' schmeichelte mir mächtig. Auch der Portier erhob Ansprüche wegen seiner Vermittlung und ich hielt 5 Lire bei ihm für ausreichend. Öfters traf ich dann die Schwester wieder, größte sie freundlich, und sie lächelte schon von weitem. Als ich dann später mein Bild: Barmherzige Schwester gemalt hatte, sandte ich ihr ein Foto davon, dessen Empfang sie. mir dankend bestätigte. Sie hatte allerdings geglaubt, ich hätte ihr Gesicht aus den Gedächtnis wiedergegeben, während ich ein ihr ähnliches Modell gefunden hatte. Als ich glaubte, alle Kunstschätze von Florenz zu kennen, machte ich mich nach dem Höhepunkt der Reise auf, der gleichzeitig ihr Ende sein sollte: nach Rom. Schon vom Bahnwagen aus spähte ich nach der Stadt, die ich bisher nur aus Bildern, Aquarellen, Stichen, Zeichnungen und guten Lichtbildern kannte. Endlich erschienen die Umrisse der Peterskirche am Horizont und ungeduldig nahm ich meinen Koffer aus den Netz, wiewohl wir noch längst nicht am Ziele angelangt waren. An Tiber, in der Campagne und überall sah ich im Geiste Deutschrömer sitzen: Koch, Erhardt, Franz Dreber und wie sie alle hießen, die durch ihre schönen Studien mir aus dem Kupferstichkabinett bekannt waren. In Rom war schnell ein kleines, billiges Hotel gefunden und des lästigen Koffers Iedig, den Baedeker in der Hand begann meine Romfahrt. Mein erster Besuch galt der Peterskirche und der Engelsburg. Dann besichtigte ich die vatikanische Antikensammlung, die Sixtinische Kapelle, Raffaels Stanzen und Loggien, Papst Innozenz X von Velazques, das Kolosseum, die himmlische und die irdische Liebe von Tizian, das vatikanische und kapitolinische Museum usw. Es war mir ein seltenes Glück, alle diese Originale zu sehen, mit das Beste, was die Welt in der Kunst hervorgebracht hat. Ich beachtete Hinweise im Baedeker gründlichst. Aber nicht nur die Schönheiten der Stadt genoß ich in vollen Zügen, wanderte auch weit hinaus in die Campagne, um Katakomben, Ruinen und die großartigen Bogenreihen der antiken Wasserleitung zu sehen. Ich sah den Albaner- und den Nemisee, das Frascati Kastell, Gondolfo und Tivoli mit seinen Wasserfällen. Ueberall fand ich die wundervollsten Motive, die mir, durch die Deutschrömer schon geläufig waren und die ich gern in meinem Skizzenbuche festgehalten hätte. Jedoch zog ich es mit Rücksicht auf meine beschränkte Zeit und Kasse vor, viel zu sehen und mich anregen zu lassen. Es drängte mich, selbst wieder etwas selbständiges zu schaffen und deshalb entschloß ich mich schnell zur Heimreise nach Dresden. Aus einem längeren Aufenthalte in München wurde nichts. Die Stadt mit ihren schwachen Nachahmungen italienisches Originale gefiel mir nicht mehr. Daheim angelangt packte ich die Schwesterntracht aus, suchte mir ein geeignetes Modell und zeichnete den Carton zum Bilde: "Barmherzige Sohwester". Ich konnte den Beginn des Malens an diesem Bilde kaum erwarten und war ganz unglücklich, wenn der Abend meiner Tätigkeit ein Ziel setzte. In der Deutschen Kunstausstellung In Dresden 1899, wo meine Arbeiten in einem eigenen Saale besonders gut wirkten, wurde ich für das Bild:
"Barmherzige Schwester", Zeichnungen, Radierungen und Stiche mit der großen goldenen Medaille ausgezeichnet und das Werk "Barmherzige Schwester" wurde von der staatlichen Gemäldegalerie erworben. Das Kupferstichkabinett kaufte alle Radierungen, Stiche und eine Anzahl Zeichnungen. Auch Käufe von Privatsammlern brachten mir Geld ein und ich erhielt daraufhin eine Anstellung bei der Kunstschule Kops, deren Inhaber Prof. Guido Richter war. Hier erfreute sich mein Unterricht eines großen Zulaufes und ich selbst lernte noch durch die Korrekturen, die ich zu geben hatte, denn es förderte euch mein Können, wenn ich gehalten war, in wenigen Minuten einen Akt, einen Kopf, eine Figur oder einen Faltenwurf schnell anzulegen und zu zeigen, wie man die Arbeit anfängt oder ändert, wie man sie weitertreibt und vollendet. Bald erhielt ich einen Ruf als Lehrer und Professor an der Kunstakademie in Dresden.
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Lillian Sanderson
wurde 1899 auf einer Konzertreise
durch ein Plakat auf die Kunstausstellung in Dresden aufmerksam. Für die darstellende Kunst im gleichen Maße, wie für die Musik interessiert besuchte sie die Ausstellung und dabei fanden meine Arbeiten ihren besonderen Beifall. Damals erwarb sie. eine Zeichnung von mir "Weiblicher Studienkopf" und sandte ihn ihrer Mutter nach Amerika. Eines Tages erhielt ich von Lillian Sanderson aus Wien einen Brief in dem sie den Wunsch aussprach, sich von mir für ihre Konzerte zeichnen zu lassen. Unschlüssig ob ich diesen Auftrag annehmen sollte wandte ich mich um Rat an den Generaldirektor Herrn von Seydlitz, den ich als Besucher aller guten Konzerte kannte und der mir Lillian Sanderson als eine große, ganz eigenartige Sängerin schilderte, deren 8onzerte er stets besuche, wenn sie in Dresden auftrete. Außerdem sei sie eine bildschöne Frau. Ich sollte, so weinte er, auf alle Fälle den Auftrag annehmen. In jeder Konzertdirektion könne ich mir ihre Bilder zeigen lassen. Über Annahme oder Ablehnung des Auftrages war ich deshalb im Zweifel, weil ich fürchtete eine verwöhnte und überhebliche Dame zeichnen zu müssen und das wollte ich vermeiden. Auch hatte ich mir eine Studienreise nach dem Harz vorgenommen, die eine Art Italien Ersatzreise werden sollte und an der mich der Auftrag sicher hindern wurde. So schrieb ich ihr ab. Aus ihrem Antwortschreiben ersah ich jedoch, daß sie sich in Hasserode im Harz aufhalten wolle, und nunmehr ließen sich meine Reisepläne mit dem Auftrag in Einklang bringen und ich sagte nun doch zu. Auf ihren Bescheid, daß sie mich in Hasserode am Bahnhof erwarten werde, und daß sie für mich ein Zimmer im Hotel "Steinere Renne" in Hasserode bestellt habe, machte ich mich auf den Weg.
Am Bahnhof Hasserode fiel mir gleich eine große stattliches und bildschöne Frau auf. Ich ging auf sie zu, zog artig meinen Hut und stellte mich vor. Ihre Schönheit
und ganz natürliche Liebenswürdigkeit machten mich schüchtern und verlegen und ich bedauerte, ihr zunächst abgeschrieben zu haben. Meinem Künstlerauge fielen sofort ihre schönen Gesichtsformen auf, ihre großen ausdrucksvollen Augen, die fein gebogene Nase und der gut geschnittene Mund, Ohren und Hals waren formvollendet. Zugleich verspürte ich große Lust, mit dem Zeichnen möglichst sofort anzufangen. Auf dem Wege zum Hotel kamen wir auf die bildende Kunst zu sprechen und ihre ganze Einstellung zu dieser, und schließlich auch ihr Urteil über meine eigenen Arbeiten flößten mir den größten Respekt ein. Im Hotel angelangt, stellte ich mein Gepäck ab und wir gingen nach Frau Sandersons Wohnung, in einer romantischen Mühle, die künstlerisch sehr geschmackvoll eingerichtet war und von deren Wänden mich Bilder von Lenbach, Zügel, Thoma, Rietti und Liebermann grüßten. Ich wurde zum Kaffee eingeladen und die Zeit für das Modellsitzen wurde genau festgelegt, denn Lillian Sanderson hatte fleißig für ihre nächsten Konzerte zu studieren. Auf meine Bitte trug dann Lillian Sanderson einige neu einstudierte Lieder von Bungert, Heß, Hermann, Wolf usw. vor. Beim Hören der wundervollen, weichen, selten schönen Stimme, die jedes Textwort einwandfrei verstehen ließ, wurde mir ganz eigen zumute. Ihr schönes Gesicht brachte Lust und Leid, Freude und Schmerz so ergreifend zum Ausdruck und ich lauschte den Tönen mit großem Genuß und spürte im Herzen ein seltsames Glücksgefühl. Mit Ungeduld erwartete ich den nächsten Tag, an dem ihr Porträt begonnen werden sollte und im Stillen hoffte ich, daß ich nach. getaner Arbeit still in einem Winkel ihrem Gesang wieder zuhören durfte. Auch bei weiteren Unterhaltungen mit L.S. über Kunst und Künstler zeigte sie sich selten gut orientiert, ja, ich meinte, einen ersten Fachkollegen vor mir zu haben und es tauchten In mir Zweifel auf, ob ich meine Aufgabe, sie zu zeichnen, zu ihrer Zufriedenheit lösen würde. Wir waren zum Abendessen in mein Hotel gegangen und um 9 Uhr - viel zu früh für mich - brach sie nach ihrer Mühle auf. Ich durfte sie begleiten. Der Weg ging am rauschenden Mühlbach entlang, und die Mühle lag friedlich mit erleuchteten Fenstern im Dunkeln. Nach dem Abschied wartete ich vor der Mühle, bis auch in ihrem Zimmer Licht aufflammte. Ich sah noch ihren Schatten flüchtig am Fenster, dann wurden die Vorhänge vorgezogen und ich kam mir ganz einsam und verlassen vor. Ein wehmütiges Gefühl überkam mich, als ich meinem Hotel zuschritt und als ich schon von weitem den Lärm der Gäste hörte, da kehrte ich um und ging nochmals den Weg zur Mühle zurück. Dort stellte ich mich ins Dunkle, um nicht gesehen zu werden und blickte nach den erleuchteten Fenstern, hinter denen ich Lillian Sanderson wußte. Auch als in ihren Fenstern dann das Licht erlosch, stand ich noch immer da, lauschte auf das Rauschen des Baches, hörte die Wassertropfen vom stillstehenden Mühlrad fallen und betrachtete das Mühlrad, aber was ich auch anstellte, das seltsame neue Gefühl in meiner Brust, das blieb bestehen. Ich fühlte plötzlich keine Lust mehr, den Harz zu durchwandern, vergaß meine Pläne, nur der Weg nach der Mühle war mir noch wichtig. An diesem Abend konnte ich lange Zeit keinen Schlaf finden. Schon vor 6 Uhr früh trank ich am nächsten Morgen meinen Kaffee. Obwohl ich erst für 10 Uhr zum Zeichnen bestellt war, brach ich gleich nach dem Frühstück auf, um mir Hasserode anzusehen, doch es zog mich unwiderstehlich nach der Mühle und ich hielt mich in Deckung in ihrer Nähe auf.
Vor 10 Uhr stand ich vor Lillian Sandersons Zimmertür mit Reißbrett, Papier und Zeichenmaterial bewaffnet und lauschte ihrem schönen Gesang. Bald wurde ich sehr freundlich von ihr empfangen. Ich erfuhr, daß sie schon seit früh 7 Uhr übte und studierte und bald studierte auch ich mein schönes Modell, und die Zeit bis 1 Uhr war bei interessantester Unterhaltung im Nu verstrichen. Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Hotel zeichnete ich ab 3 Uhr weiter. Mein Versuch, mich bis dahin im Baedeker über den Harz zu orientieren, mißlang, meine Gedanken schweiften ab und ich war froh, als ich wieder an meine Arbeit gehen konnte. Wieder empfing mich Klavierspiel und Gesang und ich war bald so in meine Arbeit vertieft, daß ich stundenlang kein Wort sprach, denn mein Ehrgeiz war ja geweckt. Meine Arbeit mußte neben ihrer Kunst bestehen können. Gegen Abend forderte sie mich auf, mit ihr ihre beiden Kinder in Wernigerode zu besuchen und dabei Wernigerode kennen zu lernen. Ich ging nur zu gern mit, denn ihre liebenswürdige Art und geistreiche Unterhaltung zogen mich mächtig an. Wenn Lillian Sanderson sang, träumte ich mit offenen Augen, sah herrliche mir unbekannte Landschaften und erschrak, als ich angeredet wurde, ich hatte ganz vergessen, daß ich nicht allein war. Noch lange saßen wir zusammen und erzählten uns aus unserem Leben und von unserer Kunst. Bei meinem Abschied drehte sich das Mühlrad. Ich ging langsam, mich immer wieder nach der Mühle umwendend nach meinem Hotel, legte mich dort zeitig zu Bett und ging meinen Gedanken und Gefühlen nach. Immer sah ich Lillians Gesicht vor mir, hörte ihre schöne weiche stimme, Bruchteile aus den gehörten Liedern zogen mir am Ohr vorüber und dann grübelte ich über meine Frage nach. die ich schon immer wieder ängstlich beiseite geschoben hatte und über die ich gar nicht nachdenken wollte: Wer mag ihr Mann sein ? Er war bei unseren Gesprächen nie erwähnt worden. Lebte sie nicht glücklich mit ihm ? Jedenfalls fühlte ich mich als ihr Ritter, und würde ihr mit allen Kräften helfen, wenn sie in Not wäre. So schlief ich endlich ein, wohl durch die starke, reine Luft ermüdet. Mit dem Wirt hatte ich noch ein längeres Gespräch gehabt, das sich natürlich um Frau Sanderson drehte und in dem er von einem Wohltätigkeitskonzert sprach, in dem sie mitgewirkt hatte und das einen überraschend großen Erfolg gehabt hatte. Er schilderte mir ihr berückendes Aussehen und die Begeisterung der Konzertbesucher an ihrem Gesang. Er erzählte, wie er sich freue, wenn sie in seinem Hotel ihre Mahlzeiten einnehme und daß er es sich nicht nehmen lasse, sie selbst zu bedienen. Am nächsten Tage, als es endlich wieder 10 Uhr geworden war, kam sie mir strahlend schön entgegen, ich weiß heute noch, daß sie eine hell violette Bluse trug, die sie besonders gut kleidete und ich war verlegener als je. Denn ich hatte den Eindruck, daß mir meine Gedanken und Gefühle auf der Stirn geschrieben stehen müßten und war froh, daß ich bei meiner Arbeit durch das Betrachten der entstehenden Zeichnung meine Verlegenheit verbergen konnte. Lillian Sanderson erzählte während der Sitzung viel von ihren Konzertreisen, schilderte auch die Schattenseiten und ich konnte, ihrer Stimme lauschend, ausgezeichnet arbeiten. Als sie mich beim Weggehen fragte, ob es mir Freude machen würde, mit ihr bei dem herrlichen Wetter eine Wagenfahrt zum Regenstein zu unternehmen, stimmte ich begeistert zu Der Wagen wurde bestellt und auf der Fahrt machte sie mich auf die Schönheiten der Landschaft aufmerksam, ich sah überall wundervolle Motive, aber ich hatte nur Interesse für die schöne Frau neben mir. Ob sie das spürte ? Ich weiß es nicht. Jedenfalls war ich überglücklich, mit ihr die herrliche Fahrt erleben zu können.
Nach dem Abendessen nach unserer Rückkehr lud sie mich ein, bei ihr noch etwas Musik zu hören, es sei noch so früh am Abend und im Hotel sei ich so einsam. Sie erzählte mir auch von ihrem schweren Schicksal und dabei lernte ich ihren Mann hassen. Mich ergriff ein tiefes Mitleid mit ihr, mein ganzer Zustand wurde mir plötzlich klar, ich liebte diese Frau über alles. Meine Schüchternheit fiel von mir ab, ich erhob mich, faßte ihre Hände, küßte sie und stammelte: "Ich liebe Sie, was kann ich für sie tun ?" und sie erwiderte: "Ich liebe, Dich auch." Wir fielen uns um den Hals und mein weiteres Schicksal war besiegelt. Ein größeres Glück konnte mir in meinem ganzen Leben nicht beschieden sein. Wir waren überglücklich. Wenn wir allein waren, sagten wir "Du" zueinander. Und dieses große Glück, das mir damals beschieden war, das ist geblieben, solange Lillian Sanderson lebte.
Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, sind fast 50 Jahre seither vergangen und noch heute staune ich darüber, wo ich damals als schüchterner junger Mensch den Mut hernahm, dieser bedeutenden Frau meine Liebe zu gestehen. Lillian und ich haben weit über ein Menschenalter bis zu ihrem Tode in vollster Harmonie zusammen gelebt, wir haben, umgeben von unserer Kunst uns gegenseitig zu neuem Schaffen angeregt und eines hat das andere so gut verstanden, wie das wohl selten in einer Ehe der Fall gewesen sein mag. Wir beide haben, stets von Schönem umgeben, das Beste genossen, was die Erde einem Menschenpaar zu schenken vermag. An diesem denkwürdigen Tage verließ ich Lillian später als sonst und als ich mich vor der Mühle nach ihrem Fenster umwandte, da schob sie die Gardine zurück und blickte mir noch lange sinnend nach. Doch mich hielt es noch bei der Mühle, ich konnte noch nicht nach meinem Hotel zurückgehen, solange ich das Licht in ihrem Fenster sah. Und plötzlich sah ich, wie auch sie nochmals nach mir Ausschau hielt. Als das Licht erlosch, wandte ich mich zum Gehen, ich befand mich in einer noch nie gefühlten seelischen, feierlichen Stimmung, als ich am Mühlbach entlang ging, der heute so viel von Liebe, Glück und Hoffnung murmelte und rauschte. Und all das Glück ist in Erfüllung gegangen. In Gedanken an meine Liebste lag ich noch lange wach.
Stumm vor Glück standen wir uns am nächsten Tage gegenüber, lange sahen wir uns an, ohne zu sprechen, dann umarmten wir uns und wir fühlten beide, daß wir für immer zusammen gehörten und daß uns nichts auf dieser Welt trennen könnte. Das große Glück ist mir treu geblieben und auch der Tod meiner über alles geliebten Frau hat mich von ihr nicht trennen können. In meinem Hotel herrschte an diesem Abend gewaltiger Lärm, die Gäste brachen zu einer Brockenbesteigung auf und es war ein stetes Kommen und Gehen. Heute störte mich das nicht, ich lag im Dunklen und betrachtete in Gedanken mein Kleinod in meiner Brust, ich war wunschlos glücklich und schlief endlich ein. Gegen 4 Uhr am nächsten Morgen fuhr ich aus dem Schlafe hoch. Vor des Hotel ertönte ein langes Jodeln, das die Gäste zum Aufbruch nach dem Brocken weckte. Ich stand auf und sah mir den Jodler an, der die Besteigung des Brockens nicht mehr erwarten konnte, ich sah auch die anderen Bergsteiger, doch ihre Lust und ihre Gefühle ließen mich ganz kalt. Selbst für die vielen Liebespärchen, die mit von der Partie waren, brachte ich kein Verständnis auf, ich hatte vielmehr das Gefühl, daß sie alle die Liebe mit anderen Augen ansahen als ich. Mein großes Glück drängte mich nach einer Entladung und ich ließ meinerseits einen Jodler ertönen, der den eben gehörten weit in den Schatten stellte. Das Treiben der Hotelgäste vor dem Hause nahm kein Ende. Immer neue Scharen erschienen, die Berliner waren in der Überzahl. Mein Frühstück einnehmend sah ich dem Aufbruch verständnislos zu. Mein Weg ging nach der Mühle. Es war noch nicht 7 Uhr früh und ich wollte vorübergehen, sah jedoch ihre Fenster geöffnet und da ließ ich meinen schönsten Jodler ertönen. Mein Schatz kam zum Fenster, war erstaunt, mich in dem Jodler zu erkennen, lachte und lud mich ein. Der Kaffeetisch sei schon gedeckt. Auch den Müller und seine Familie hatte mein Krähen angelockt. Ich stürmte die Treppe hinan, doch ich konnte in Gegenwart des Mädchens nur die Hand meiner Liebsten heftig drücken. In meiner Verlegenheit betrachtete ich mir meine Zeichnungen, die mir recht gut gefielen, aber zum Zeichnen fehlte mir heute jede Lust. Als wir allein waren, drückten wir uns so herzlich, daß uns die Luft wegblieb, küßten uns schnell und setzten uns dann artig an den Kaffeetisch. Noch nie hatte mir der Kaffee so gemundet. Die Konfitüren amerikanischen Ursprungs waren mir unbekannte Genüsse. Wir wechselten mit Essen und Händedrücken ab, sahen uns glücklich in die Augen. Nur wenn das Mädchen ins Zimmer kam, waren wir artig. Was waren das für wundervolle Minuten und Stunden ! Das herrliche, windstille Wetter veranlaßte mich zum Vorschlag, mit der Bahn zum Brocken zu fahren und ich unterstrich diese Idee mit einem möglichst wohlklingenden Jodler, um das feinfühlige Ohr meiner Herzallerliebsten nicht zu quälen. Wir nahmen Ferngläser mit uns und mußten lange auf die Abfahrt des Zuges warten. Doch, was kümmerte uns das in unserem großen Glück. Ich mußte wohl recht still geworden sein, denn Lilly fragte mich, ob ich Sorgen hätte. Und da gestand ich ihr meine Furcht, sie wieder zu verlieren. Ihr Händedruck und ihr Blick in meine Augen nahm mir meine Angst und ich wußte, daß ich sie für immer haben wurde. So lieb und gut, so feinfühlig und vornehm, so begeistert für ihre Kunst, wie ich sie damals kennenlernte, so ist sie während unser fast fünfzigjährigen Ehe geblieben, eine Dame im besten Sinne des Wortes. Das Wetter blieb uns gewogen, wir hatten auf dem Brocken eine herrliche Fernsicht, alles war klar zu sehen, wie mit dem Messer herausgeschnitten und die Färbung der Landschaft wunderschön. Mein Malerauge genoß das Bild in vollen Zügen. Auch Lillian, die schon oft und zu allen Jahreszeiten den Brocken bestiegen hatte, meinte, sie hätte noch nie einen derartig schönen Fernblick gehabt. Übrigens wußte sie auch mit den Brockengespenstern gut Bescheid, sie kannte alle ihre Namen, sie kannte das Hexenwaschbecken, die Hexenaltäre, die Teufelskanzeln, den Hexenbrunnen und alle anderen Teufeleien und Hexereien. Der Brocken wimmelt von Ausländern, Engländer, Franzosen und oft wurde Frau Sanderson in einer fremden Sprache angesprochen, denn man sah ihr wohl an, daß sie keine Hiesige war. Meine Lilly, der Harz war mein Ziel damals, hier wollte ich Studien machen, überall fand ich Motive über Motive. Wenn ich jetzt daran denke, daß ich Dir erst abgeschrieben hatte, daß ich beinahe dicht an meinem größten Glück auf dieser Welt vorbeigegangen wäre! Ich habe Dir alles zu danken. Hättest Du mir damals nicht wieder geschrieben, so hätte ich wohl auch auf dem Brocken gesessen, hätte mit großem Fleiße meine Mappen gefüllt, aber wäre ganz allein gewesen und hätte nicht gewußt, was aus mir geworden wäre. Keine Frau auf dieser Welt wäre imstande gewesen, mir solche Perspektiven zu eröffnen, wie Du das tatest. Trotz meiner Jugend erkannte ich damals ganz richtig, daß Du die Frau für mein Leben warst und beim Niederschreiben dieser Zeilen packt mich meine große Trauer, daß ich jetzt allein bin, und ich wünschte, daß ich diese glückliche Zeit noch einmal erleben dürfte. Doch alles ist vorbei. Nur die Erinnerung, die mich auch nicht zu trösten vermag. Am Abend dieses unvergleichlichen Tages hielten wir es im Hotel nicht lange aus. Ich begleitete Dich nach einem Spaziergang im Mondschein nach Hause und ich erinnere mich, daß Du etwas abgespannt und müde warst. Wir sprachen auch über unsere Zukunft, Du schwanktest, ob wir nach Dresden gehen sollten oder uns in England niederlassen wollten und Du meintest, wir beide fänden mit unserer Kunst überall unser Brot. Ganz im Dunkeln, etwas abseits von der Mühle nahmen wir Abschied und drückten uns herzlich und ohne Ende und vor der Mühle waren wir ganz sittsam es war etwa so, wie in Max Klingers Radierung aus "Eine Liebe" - "Vor dem Tor". Um kein Aufsehen zu erregen, jodelte ich nur in Gedanken, ein Winken nach oben und von oben nach unten und ich verschwand spurlos in der Dunkelheit und hielt Zwiesprache mit dem Bache, den ich in meinem Glücke liebte und zum Vertrauten meiner seligen Gefühle machen konnte. Am nächsten Tage war ich wieder ganz der Maler. Ich freute mich, recht lange zeichnen zu dürfen und fand den Beifall meines Modells. Wir ließen uns sogar das Essen aus dem Hotel holen, um Zeit zu sparen, denn wir wollten am nächsten Tage eine Wanderung durch Okertal machen. Lillian Sanderson war ein vorzüglicher Wanderer. Auch dieser Ausflug steht heute noch mit voller Deutlichkeit vor meinen Augen. Quedlinburg, Goslar, Wernigerode, die Tropfsteinhöhlen bei Rübeland.- Später wurden die Ausflüge zu kurzen Spaziergängen in der Nähe von Hasserode, denn Frau Sanderson brauchte ihre Zeit zum Studium ihrer Lieder, eine neue Konzerttournee stand bevor.
Inzwischen waren auch meine Zeichnungen fertiggestellt und ich konnte nun dem Gesange meiner Lillian ganz ungestört lauschen. Freilich feilte sie die letzten Feinheiten meist in meiner Abwesenheit aus und ich merkte, daß auch zu ihrer Kunst nicht nur Stimme, Talent, Gefühl, Herz und Verstand gehörten, sondern immer und immer wieder Fleiß, wenn das Höchste erreicht werden sollte. Unser beider Ziele in der Kunst waren gleich: wir beide versuchten, ein Kunstwerk bis zur letzten Vollendung zu steigern. Wie viele Künstler erreichen dieses Ziel nicht. Sie werden vorher müde, verlieren die Lust oder ermangeln der Kraft und hüllen sich dann gern in Theorien, reden zu viel von Kunst, versteigen sich wohl gar und behaupten nun, daß sie Neuland suchten, um mit dem Alten zu brechen, Dabei übersehen sie, daß gerade im Alten noch so viel zu lernen und zu bauen ist. Voraussetzung ist freilich, daß sie zur Kunst berufen sind. Mein Zuhören bei Lillians Übungen hat mein Verständnis für Musik erheblich erweitert. Ihre Macht und Schönheit habe ich langsam so richtig kennen gelernt. Ich konnte mir niemand denken, der geeigneter gewesen wäre, meine interessierten Fragen auf dem Gebiete der Musik besser zu beantworten, als eben Lillian Sanderson, die studiert hatte, perfekt französisch und italienisch, ganz gut russisch und vorzüglich englisch sprach: sie hatte besondere Kenntnisse in der Literatur und verfügte über ein selten gutes Gedächtnis. So behielt sie z.B. ein ihr fremdes Gedicht nach einmaligem Lesen im Gedächtnis. In Windeseile waren die 4 glücklichen Wochen, die ich
mit Lillian Sanderson erleben durfte, vergangen. Mit schwerem Herzen sahen wir den Abschied herannahen. Ich sah ihre tränengefüllten Augen, als wir am Bahnhof auf und abgehend den Zug erwarteten. Ihr nächstes Konzert in Leipzig sollte uns ein Wiedersehen bringen. Mir kam es zum Bewußtsein, daß für mich wohl der mächtigste Abschnitt meines Lebens begonnen hatte. Und auf der Bahnfahrt zogen alle glücklichen Stunden, die ich in Hasserode verleben konnte, an mir vorüber.
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In Leipzig bei meinen Eltern
In Leipzig suchte ich meine Eltern auf, um ihnen von meinem Glücke zu erzählen. Sie hatten viel Ungemach erlebt, denn die Weberei in Tschirnitz war im November 1893 abgebrannt, sie waren lange Zeit ohne Arbeit und Einkommen gewesen, hatten sich für kurze Zeit in Trattenbach in Niederösterreich aufgehalten mein Vater war dann zu seinem Bruder nach Roßbach in Böhmen gezogen und meine Mutter hatte Zuflucht bei ihrer verheirateten Tochter in Chemnitz gefunden. Endlich hatte mein Vater eine Stellung in Leipzig als Hausmeister erhalten und hatte meine Mutter zu sich kommen lassen. Mit größter Spannung lauschten meine guten Eltern meinen Worten, die Furcht, ihren Sohn, der sie schon immer unterstützt hatte, zu verlieren, stand im Vordergrund. Ich versprach ihnen eine baldige Besserung ihrer bedrängten Lage und konnte mein Versprechen einlösen. Meine Eltern konnten bei mir in Loschwitz ihre schönste Zeit verbringen. Schon nach einigen Tagen hielt ich den ersten Liebesbrief meiner Lillian glücklich in den Händen. Sechs eng beschriebene Seiten, die ich bald auswendig wußte. Die Konzertreise nach Leipzig und Dresden war endgültig festgelegt, schon in kurzer Zeit konnte ich hoffen, meine Lilly wiederzusehen. Wie ernst sie ihren Beruf nahm, geht daraus hervor, daß ich sie erst nach dem Konzert begrüßen sollte, wir wollten dann gemeinsam zu Abend essen und dabei wollte sie meine Eltern kennen lernen. Die Plätze, die sie für meine Eltern und mich hatte zurücklegen lassen, lagen hinten im Gewandhaussaale, damit sie uns nicht sehen und nicht abgelenkt werden konnte. Es war ein Kunststück, meine guten, schlichten Eltern zu ihren Plätzen zu bringen. Sie wären am liebsten an der Saaltür stehen geblieben. Das Gewandhaus war ausverkauft. Lillian Sanderson, ihre künftige Schwiegertochter, wurde mit jubelndem Beifall vom Publikum empfangen, sie trat als erste auf und war glänzend bei Stimme. In meiner Begeisterung war es mir schwer, ruhig auf meinem Stuhle zu sitzen und nicht aus der Rolle zu fallen. Meine Eltern wurden derart von Rührung übermannt, daß sie Tränen vergossen und waren nach dem Konzert so aufgewühlt, als wären sie selbst als Sänger aufgetreten. Sie saßen mit offenen Mündern da, als der Beifall aufbrauste und als der Sängerin die vielen Blumenspenden überreicht wurden und sie immer wieder Lieder zugab. Ein Wagen brachte uns zum Hotel, in das meine Eltern nicht eintreten wollten, weil es viel zu fein für sie sei. Der Kellner, der im Hotelzimmer noch mit dem Decken des Tisches beschäftigt war, wurde von meinen Eltern untertänigst wie ein Minister gegrüßt und es dauerte nicht lange, da erschien Lilly, vom Hotelbesitzer geführt. Wir umarmten uns und waren glücklich, uns wieder zu haben und meine Eltern standen verlegen über ihren ungenierten Sohn dabei. Sie brachten kaum ein Wort heraus und ich zweifle, daß ihnen das gute Essen gemundet hat. Mein Vater beruhigte sich später bei einer Zigarre und meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun, ihre Tränen zu trocknen. Nach meiner Rückkehr vonHasserode nach Dresden hatte ich die Zeichnungen von Lilly gleich unter Kartons legen lassen und dabei durch den Buchbinder erfahren, daß in Loschwitz das Grundstück von Prof. August Reinhardt, einem Schüler Ludwig Richters, zum Verkauf stünde. Ich erwarb es, ohne Lilly etwas davon mitzuteilen. Zur Zeit ihrer Dresdner Konzerte unternahmen wir einen Spaziergang nach Loschwitz und ich wußte es so einzurichten, daß wir auch an diesem Hause vorüber kamen. Lilly sah das Relief Ludwig Richters an der Hauswand und ich erzählte ihr, daß Ludwig Richter hier in der Zeit von 1864 - 1870 die Sommermonate verbracht und gearbeitet hätte. Sie wünschte, das Haus auch einmal von innen zu betrachten. Ich holte den Schlüssel herbei und sie war so entzückt über die Fernsicht nach dem Erzgebirge, den Blick auf das Mückentürmchen bei Teplitz, die Sächsische Schweiz, die Elbe und so erfreut über meinen Bericht, daß Ludwig Richter hier gearbeitet hatte, daß ich mein Geheimnis nicht länger hüten konnte und sagte, das sei unser Haus! Ich werde ihre Freude darüber nie vergessen! Die Vorrichtungsarbeiten begannen, die Wünsche der künftigen Hausfrau wurden dabei berücksichtigt. Wir durchstreiften noch gemeinsam die Dresdner Museen und zu dieser Zeit setzte ich auch ihre Scheidung von ihrem Mann durch, der sie fast um alles gebracht hatte. In jedem Briefe, den sie mir nach den schönen Dresdner Tagen schrieb, fragte sie nach unserem Hause. Dort gingen die Arbeiten rüstig voran und ich arbeitete bereits dort, in dem ich mir Modelle hinbestellte und so entstanen schon im unfertigen Hause eine Anzahl von Studien. Ich ließ dann Lillys und meine Möbel ins Loschwitzer Haus bringen und Lillys 5-jährigen Sohn mit einem zuverlässigen Hausmädchen kommen. Das Haus war einfach, aber sehr gemütlich eingerichtet. Bald hatte ich alle Papiere für unsere Hochzeit in den Händen und wartete nur noch auf die Hauptperson. Wie oft bin ich zum Briefkasten gelaufen, um zu sehen, ob der erwartete Brief da sei Endlich meldete er mir ihre Ankunft für den 12. Juli früh 8 Uhr. Die Einfahrt des Zuges ließ viel zu lange auf sich warten. Endlich hielt ich sie in meinen Armen. Wir tranken in einer nahegelegenen Konditorei Kaffee und dabei sagte ich ihr, in einer Stunde gehe unser Zug nach Pirna. Sie fragte warum, -weshalb nach Pirna fahren, gehen wir denn nicht nach Hause? Nein, erst werden wir dorthin fahren und uns trauen lassen, weil dir die Stadt so sehr gefiel! Darüber war sie nun recht erfreut und am 12. Juli 1900 vormittags 11 Uhr wurde unser Ehebund in Pirna vollzogen. Zwei Beamte vom dortigen Rathaus waren unsere Trauzeugen. Nach der Amtshandlung hatten wir uns viel zu erzählen. Besonders glücklich machten mich die vortrefflichen Kritiken ihrer Kunst. Ich schämte mich schließlich meines vielen Händedrückens und der vielen Versicherungen, wie lieb ich sie hätte - aber auch diese Gefühle mußte ich loswerden neben der großen Linie. In fröhlichster, glücklichster Stimmung besichtigten wir die Stadt. Wir sahen Canalettos wundervolle Ansichten von der Stadt vor Augen, dann saßen wir an der Elbe, sahen die Schiffe an- und abfahren und waren glücklich, uns endlich für immer zu haben. Dann fuhren wir mit dem Schiff nach Loschwitz, kletterten den Steinweg hinan und waren endlich daheim. Ich freute mich des Glückes, das meiner Frau aus den aus den Augen strahlte, als sie ihr Kind in die Arme schloß und ihr Heim von oben bis unten besichtigte. Bis spät in die Nacht hinein saßen wir vor dem Hause unter den Kastanien und sprachen über unsere Zukunftspläne. Auch heute, als 75jähriger kann kann ich die glücklichen Gefühle von damals nicht in Worte fassen, und beim Schreiben dieser Zeilen komme ich meiner lieben, unvergeßlichen Frau wieder ganz nahe. Und die Erinnerungen an sie, die inzwischen so still von mir gegangen ist, hellen das Dunkel um mich etwas auf und lindern die Trauer, die mich seit ihrem Heimgange erfüllt.
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Kopien nach alten Meistern
Kopien nach alten Meistern
schon in Meißen, als Schüler der Zeichenschule in der Porzellanmanufaktur hatte ich viel von der weltberühmten Gemäldegalerie gehört und stark gehofft, dieselbe auch mal sehen zu können. Als ich meine Aufnahmearbeiten bei der Akademie einreichte, sah ich mir auch die Stadt Dresden von außen an. Als ich zur Galerie kam, war dieselbe leider schon geschlossen, aber der Bau mit seinen wertvollen Kunstschätzen machte schon einen gewaltigen Eindruck auf mich. Ich wurde aufgenommen, und wir Akademiker hatten freien Eintritt in die Gemäldegalerie. Wie war ich erstaunt, als ich zum ersten Male weltberühmte Kunstwerke sah! Viele kannte ich schon durch die Abbildungen - nun sah ich die Originale! Welch ein ein Genuss und Antrieb für mich. Ich hoffte, nun recht bald an die Malerei zu kommen, um dann besondere Lieblinge von Kunstwerken auch kopieren zu können - denn viele Kopisten sah ich bei der Ar-beit. Manche Kopien recht gut, aber auch viele recht minderwertig: in der Zeichnung schlecht, die Farbe ganz abweichend und der Gesichtsausdruck bei manchen Köpfen ganz anders als auf dem Original. Als Malschüler ver-suchte ich "Das lesende Mädchen am Fenster" von Jan Vermeer van Delft, welches mir auch ganz gut gelang und meinem Lehrer, Leon Pohle, sehr gut gefiel. Ich dachte, dafür eine große Summe zu verdienen, wurde aber recht enttäuscht, als ich nur 30 Mark bei einem Antiquitätenhändler erhielt und er es mir eigentlich nur aus Gnade abkaufte. Später sah ich mein Bild wieder, glänzend im kopierten Originalrahmen und als besonders gute Kopie -- es hatte mehrere hundert Mark gekostet, sagte mir der Besitzer. Ich habe sie sehr gelobt und betont, daß er einen guten Kauf gemacht habe, gab mich aber als Schöpfer nicht zu erkennen, - wenn auch der Maler Richard Müller hieß. Als Lehrer an der Akademie habe ich sehr viel kopiert und dabei mich sehr im Malen entwickelt und viel dadurch gelernt. Allerdings muß man sich vollständig unterordnen und auf das zu kopierende Original eingehen. Genau dieselbe Leinwand, dasselbe Gewebe oder die dick oder dünn präparierte Holztafel wählen, denn sonst wird schon die äußere Erscheinung der Kopie eine andere, zu glatt oder zu rauh. Schon mit dem Aufzeichnen habe ich es ganz genau genommen, daß alle Maße in sich stimmen, ob dick oder dünn einzelne Stellen gemalt sind, oder nur Lasuren zu bemerken sind. Doch nur so hat es einen Zweck, den verschiedenen Meistern : Giorgione, Tizian, Ruisdaels, Rembrandt, Velasquez , Van Dyck usw. auf ihre Eigenart nachzuspüren. Alle Risse und Schäden, die im damaligen Zustand zu sehen waren, habe ich mit gemacht und mir die größte Mühe gegeben, um meine Kopie mit dem Original verwechseln zu können - natürlich auch genau dieselbe Größe. Wenn man so kopiert, stellen sich auch viele Käufer ein, wenn sie sehen, daß die Kopie dem Original zum Verwechseln ähnlich ist. Viele interessante Bekanntschaften habe ich dabei gemacht. Man nahm immer an - sobald das Bild etwa fortgeschritten war - es sei eine alte Kopie, die ich vor dem Original nur ausbessere. Selbst der ausgezeichnete Restaurator Prof. Hauser, München war dieser Meinung, als er mit Liebermann eine Weile zusah. Er gab mir den guten Rat, die Risse erst auszukitten und dann zu übermalen, als ich die Venus von Giorgine kopierte. Viele Kopisten, kümmern sich gar nicht um die Struktur der Leinwand oder ein dick gemaltes Bild malen sie ganz dünn und auch umgekehrt - und wundern sich dann, daß das Bild einen ganz anderen Ausdruck bekommt und schließlich sich auch kein Käufer meldet. Ja - er sucht das Original und vergleicht damit die Kopie. Was war es für mich für ein Genuß, alle diese Lieblinge in der bildenden Kunst an ihren Werken studieren zu können! Immer entdeckt man neue Reize und nie schöpft man ein so erstklassiges Kunstwerk vollständig aus! So habe ich im Laufe der Jahre die verschiedensten Gemälde der damaligen Königlichen Gemäldegalerie in Dresden kopiert : " Die Kupplerin " von Jan Vermeer van Delft, zwei Bildnisse von Anthonis van Dyck, "Bildnis eines jungen Mannes" von Anton Mor, " Bildnis des Grafen Olivarez " von Diego Velazquez, "Die Jagd " von Jacob von Ruisdael, "Ganymed " von Rembrandt, "Venus " von Giorgione und das "Bildnis eines Unbekannten" von Tizian. Auch die Sixtinische Madonna in Originalgröße zu kopieren hatte ich vor; leider kam dieser große Plan nicht zur Ausführung. Eigene Ideen hielten mich gefangen: Kompositionen, Radierungen, meine Pflichten als Lehrer - dann kam der erste Weltkrieg. Wenn ich an all diese herrlichen Werke denke, diese unvergleichlichen Vorbilder, dann frage ich mich auch : Wie ist es nur möglich, daß unter den jüngeren Künstlern so viel dummes Zeug gemacht wird, - als neue Kunst, als Neuland bezeichnet wird - glaubt man damit Fremde zu interessieren ?? Auch diese Auswüchse verschwinden wieder, aber müssen sie erst gemacht werden?! Nein! und noch mal Nein! Einige Kritiken der hiesigen Zeitungen über meine Kopien aus der Dresdner Galerie, als ich sie im Kunstsalon Emil Richter Prager Straße 1912 ausstellte :
Dresdner Anzeiger vom 23. Juni 1912:
Kopien nach alten Gemälden.
Die Kopien nach Werken alter Meister sind zu verschiedenen Zeiten verschieden bewertet worden. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts standen sie in hoher Wertschätzung. Wenn damals die Sixtinische Madonna von Raffael oder irgendein anderes berühmtes Gemälde unserer Galerie von einem Maler kopiert worden war, so erschien alsbald in einem der Dresdner Blätter ein Aufsatz, in dem die Kopie ausführlich besprochen und gewürdigt wurde. Die Kopie eines solchen Werkes wurde als eine bedeutende künstlerische Tat angesehen. Diese Wertschätzung beruhte zum Teil auch darauf, daß der Besuch der Galerie damals keineswegs jedermann offen stand, sondern mit einem Dukaten erkauft werden mußte. Eine gute Kopie ermöglichte also vielen, denen ein Dukaten nicht leicht zu Gebote stand, ein Meisterwerk der Galerie wenigstens in der Kopie zu sehen. Diese Ursache zur Schätzung der Kopien fiel weg, nachdem die Galerie dem allgemeinen Besuch geöffnet worden war. Es wurden auch der Kopisten immer mehr und die Güte wurde geringer, weil sich meist nicht hervorragende Künstler mit Kopieren beschäftigten. Daraus ging allmählich eine immer steigende Geringschätzung der Kopien überhaupt hervor, die in ihrer Verallgemeinerung nicht berechtigt ist. Diese Anschauung hat Graf Schack mit Wort und Tat gründlich bekämpft. Durch Franz v. Lenbach ließ er sich eine ganze Reihe berühmter alter Gemälde in Rom, Florenz, Madrid kopieren, die jetzt einen bedeutsamen Bestandteil der Schackgalerie ausmachen, und in dem köstlichen Buch über seine Gemäldesammlung verteidigte er seine Ansicht über Kopien mit warmen Worten. Wir lesen da u.a.: "Das schönste künstlerische Geschenk, das ein König seinem Lande zu bieten vermöchte, wäre ein Museum, worin die auf der ganzen Erde zerstreuten Hauptwerke der Malerei in vorzüglichen Kopien einen Platz fänden. Denn eine gute Kopie vermag ein so vollständiges Bild des Originals zu liefern, daß der Unterschied zwischen beiden, wenn nicht ganz aufhört, doch bis auf ein ganz Geringes verschwindet; daß jedenfalls, wenn die genaue Betrachtung auch kleine Unterschiede ergibt, mindestens dieser Unterschied für den Kunstgenuß völlig unerheblich ist. Als ein sicheres Kennzeichen von ungebildetem Dilettantismus hat es mir von jeher gegolten, wenn Besucher von Galerien das Wort Kopie mit einer gewissen Verachtung im Munde führten. Eine Kopie kann ein wahres und echtes Kunstwerk sein, ebenso wie eine ausgezeichnete Übersetzung; denn sie wird, wenn sie gut ist, nicht auf mechanische Weise hervorgebracht, sondern es gehört eine bedeutende künstlerische Kraft dazu, um sie ins Leben zu rufen. Vorzügliche Dichter sind zugleich die besten Übersetzer gewesen, und Schillers Verdeutschung der Iphigenie des Euripides ist vielleicht die schönste, die es von einer antiken Tragödie gibt; so wird auch nur ein hervorragender Maler, der nicht allein alle äußeren Mittel der Technik beherrscht, sondern sich auch mit ganzer Seele in sein Original versenkt und mit Begeisterung nach dessen Reproduktion ringt, dasselbe befriedigend wiedergeben zu können. "Eine einzige solche wirklich wertvolle Kopie eines Meisterwerkes kann ganze Kunstausstellungen mittelmäßiger moderner Bilder, ja auch manche Galerie aufwiegen, deren Kataloge Hunderte angeblicher Originale verzeichnen". - An diese Worte des Grafen Schack erinnerten wir uns, als wir gestern im Kunstsalon Emil Richter die Kopien nach Giorgione, Tizian, van Dyck, Velazquez, Ruisdael und Anton Mor von Prof. Richard Müller sahen. Müller hat schon vor einiger Zeit für das Museum zu Barmen unser berühmtes Gemälde "Die Kupplerin" von Jan Vermeer van Delft kopiert, und zwar in so großartiger Weise, daß die Kopie die Bewunderung aller Kenner erregte. Die gleiche Bewunderung dürfen die gegenwärtigen Kopien beanspruchen, vor allem die ruhende Venus von Giorgione und zwei Bildnisse nach van Dyck. Richard Müller gehört zu den Scharfsehern unter den Malern; er erfüllt alle oben angeführten Forderungen, die Graf Schack an einen hervorragenden Künstler als Kopisten stellt, im vollen Maße. Er kopiert mit einer so vollkommenen Versenkung in die fremde Kunstanschauung und Technik, daß alles Persönliche ausgeschaltet erscheint. Die Kopien sind bekanntlich auch deshalb im Werte gesunken, weil man ihnen vielfach mit Recht nachsagt, daß sie den Stempel ihrer Zeit und des kopierenden Künstlers tragen. Bei den Müllerschen Kopien ist davon keine Rede; sie sind so genial unpersönlich, daß sie uns als das Ideal von Kopien erscheinen, die in der Gesamtwirkung wie in allen Einzelheiten vollkommen zuverlässig erscheinen. Sie sind in ihrer Art "wahre und echte Kunstwerke". Die Kopie der Venus von Giorgione ist wieder für das Museum zu Barmen bestimmt, welches das Schacksche Ideal einer Galerie von vorzüglichen Kopien oder wenigstens einer Abteilung von solchen innerhalb der Sammlung verwirklichen zu wollen scheint. Das ist ein sehr verdienstliches Unternehmen, und die Leitung des Barmer Museums hat den richtigen Mann für ihr Werk gefunden. (Paul Schuhmann)
"Dresdner Neueste Nachrichten" vom 27. Juni 1912:
Kunstsalon Richter. Giorgiones Venus hat die Galerie mit einem Ehrengeleit klassischer Bildnisse verlassen, denen sich Ruisdaels "Jagd" anschloß, und diese neueste Sezession hat ihr Heim an der Prager Straße aufgeschlagen, bevor sie Dresden ganz verläßt. So könnte man vor Richard Müllers Kopien meinen, die dem Original in jedem Riß und Sprung der Leinwand bis auf jeden Schaden des Rahmens mit unerhörter Treue nachgehen. Allein unermüdlichster Fleiß und die scharfsinnigste Beobachtung eines ganz hervorragenden Könners vermochten dies Virtuosenstücklein mit solchem Glück zu vollbringen.
" Dresdner Nachrichten" vom 26. Juni 1912:
Das Hauptinteresse der derzeitigen Ausstellung sind im Hauptraum die Kopien nach Meisterwerken der Dresdner Galerie von Richard Müller. Sie kommen den Originalen so nahe als möglich und genügen in Betreff ihrer genauen Wiedergabe den denkbar größten Ansprüchen, so daß nur ganz gewiegte Kenner imstande sein werden, in Kleinigkeiten den Unterschied des Urbildes von der Nachbildung festzustellen. Am täuschendsten ist die Kopie der ruhenden Venus von Giorgione, weiche für das Museum in Barmen bestimmt ist, am wenigsten gelungen ist Müller die Kopie der "Jagd" mit den flüchtenden Hirschen von Jacob v.Ruisdael, bei der das Gesamtkolorit von dem des Originals abweicht. Das ist um so auffallender, als Müller sonst vollständig darauf verzichtet, einen subjektiven Zug in seinen Nachbildungen aufkommen zu lassen. Er geht sogar soweit, all die Sprünge und Defekte, welche die Urbilder in ihrem heutigen Zustand zeigen, auf die Kopie zu übertragen, er läßt in die sorgfältig nachgeahmten Rahmen die vorhandenen Beschädigungen anbringen und versieht seine Kopien mit Schildern, die in Form und Schrift denjenigen der Galerie bis auf das hinzugesetzte "Nach" vollkommen gleichen, er bemalt sogar seine Bilder von hinten, als sei die Leinwand alt. Die Selbstentäußerung kann also nicht weiter getrieben werden. Andere berühmte Kopisten in alter und neuer Zeit sind darin nicht so weit gegangen. Ihre Arbeiten sind daher nicht entfernt so authentisch, wie diejenigen Müllers. Ob sie deshalb weniger wertvoll und lehrreich sind, das ist eine Frage, die auf einem anderen Blatte steht. (H. A. Lier)
Herr H. A. Lier irrt sich, wenn er sagt, daß die Kopie "Jagd" von Ruisdael im Gesamtkolorit vom Original abweicht. Der Gesamtton ist auf meiner Kopie genau richtig getroffen wie auf dem Original. Darum sollte ich den Ton ändern? Bei strengem Kopieren muß er doch genau so werden wie am Vorbild - der Ton kann ja da gar nicht anders werden; ich möchte sagen, es ist doch eigentlich gar kein Kunststück, den Ton genau so zu malen, wie am Vorbild. Das ganze Bild in einem anderen Gesamtton zu bringen, wäre für mich doch gar keine Befriedigung gewesen. Auch recht interessante Bekanntschaften machte ich beim Kopieren: Der "Sänger ohne Stimme" , Dr. Ludwig Wüllner, der schon durch seine Größe auffiel, dieser außergewöhnliche Vortragskünstler - ich erinnere mich z, B. seiner unvergleichlich plastischen Gestaltung der "Glocke" und der "Kraniche des Ibykus" von Schiller; der feine Naturforscher Wilhelm Bölsche, Gustav Fressen, Gerhart Hauptmann, Peter Rosegger, Ludwig Heck, der Direktor des Zoologischen Gartens in Berlin; die zweite Frau von Hans von Bülow, eine reizende Dame mit großem Verständnis für Malerei; Akademiedirektor Anton von Werner, der alle Jahre zur Kur nach Kalrsbad ging und immer die Galerie dabei besuchte; Reinhold Begas - Bildhauer, ein großer, sehr gut aussehender Herr; Richard Friese, feiner Tiermaler ( wir besaßen ein großes Tierbild von ihm in Dresden "Wüstenräuber" ); Eduard von Grützner - München - ; Prof. L. von Kalkreuth, Direktor der Akademie in Weimar; Arthur Kampf - großer Könner und Direktor der Berliner Akademie; L. Knaus, feiner Künstler; der ausgezeichnete Radierer Karl Köpping, Paul Meyerheim; der Pianist Eugen d'Albert und J. L. Nicode, der Dresdner Komponist; die Sängerin Marie Götze von der Berliner Oper - alles Bekannte, die beim Kopieren zusahen, mich ansprachen und mit denen ich auch später in Fühlung blieb und viele andere mehr.
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Vorahnungen
Meine Frau hatte die Gabe, künftige Ereignisse im Voraus zu ahnen, ohne daß sie sich das zu erklären wußte. Entweder träumte sie von einem sie angehenden Vorfall oder eben sie hatte im wachen Zustande das bestimmte Gefühl, daß sich irgend etwas, was sie anging, zugetragen habe. Mir fehlte zunächst jedes Verständnis für diese Gabe, aber ich mußte mich bald davon überzeugen, daß diese Ahnungen keine Einbildungen waren. So hörte sie z.B., als ihr Vater starb, nachts dessen Stimme ihren Namen rufen. Die kurz darauf einlaufende Depesche bestätigte die Richtigkeit ihrer Ahnung, auch ließ sich feststellen, daß der Tod zu der Zeit eingetreten war, als sie die Stimme vernahm. Wir hatten schon einige Jahre in Loschwitz gewohnt, da sagte mir Lilly eines Morgens, in der vergangenen nacht sei ihre Mutter verstorben. Auf meine zweifelnde Frage, wie sie dies wissen wolle, erklärte sie, sie hätte das bestimmte Gefühl. Als wir uns am selben Tage im Garten aufhielten und den Postboten kommen sahen, meinte meine Frau, der bringe die Nachricht. Jedoch der Briefträger ging am Grundstück vorüber. Meine Frau meinte, der kenne wohl ihren Künstlernamen noch nicht. Kurze Zeit später kam der Bote zurück und fragte uns, ob in unseren Grundstück eine "Lillian Sanderson" wohne. Wir bejahten, ich nahm eine an meine Frau gerichtete Depesche in Empfang, ihr Text lautete: "Mutter nachts gestorben." Ich war sprachlos. Ein anderer Fall.: Ich besuchte zusammen mit meiner Frau in Wasserburg am Inn Prof. Schlittgen, um mir Bilder bei ihm für eine Kunstausstellung auszuwählen.
Wir verbrachten mit ihm zusammen sehr nette Stunden. Längere Zeit darauf sagte eines Tages meine Frau zu mir: Schlittgen ist eben gestorben. Ich fragte verwundert, wie sie plötzlich auf Schlittgen käme. Sie wußte es nicht. Kurze Zeit später kamen wir wieder nach München. In der großen Kunstausstellung - Glaspalast - sahen wir in einem besonderen Raum eine Anzahl Bilder von Schlittgen hängen und darunter einen großen Lorbeerkranz. Meine Frau hatte mich auf diese Gedächtnisausstellung für Schlittgen aufmerksam gemacht. Im Sekretariat Ausstellung erfuhren wir die genaue Zeit von Schlittgens Tod. Er stimmte genau mit dem von meiner Frau genannten Zeitpunkt überein. Und noch ein letzter Fall: Wir hatten einige Tage vorgesehen, um in meiner Heimat zu jagen und zu fischen. Ich hatte mir in der Stadt noch Patronen besorgt und als ich
nach Hause kam, fand ich meine Frau in Unruhe, sie sagte, es würde sich bei uns etwas schweres ereignen, aber der Tod würde nicht eintreten. Wir, meine Frau, mein Junge und ich waren alle drei gesund und ich konnte nicht an eine Krankheit denken.
Am Morgen des nächsten Tages sollte die Reise beginnen. Und an
diesem Morgen klagte mein Junge plötzlich über Leibschmerzen. Der herbeigerufene Arzt hielt sie für harmlose Blähungen. Mir erschien jedoch der Leib meines Kindes ganz unnatürlich ange-schwollen und ich ließ einen zweiten Arzt kommen, der die Mei-nung des ersten vertrat. Da der Leib des Kindes immer mehr anschwoll, zog ich einen bekannten Dresdner Chirurgen Dr. Müller vom Diakonissenhaus zu, der eine hochgradige Blinddarmvereiterung und einen Durchbruch feststellte, den beiden anderen Ärzten wegen ihrer falschen Diagnose schwere Vorwürfe machte und meinen Jungen zu einer sofortigen Operation gleich in seinem Auto mitnahm. Er machte mir nicht viel Hoffnung auf ein glückliches Gelingen des Eingriffes. Ich mußte mit dem Schlimmsten rechnen. Ich wohnte viele Tage im Krankenhaus und als ich meiner Frau die Größe der Gefahr nicht länger verheimlichen konnte, brach sie ohnmächtig zusammen. mein Kind schwebte 16 Wochen lang in Lebensgefahr. Infolge der aufopfernden Pflege meiner Frau genas das Kind dann bald. Das war damals ein schwerer Schlag, der unserem Glück versetzt wurde und noch heute sehe ich als alter Mann die schrecklichen Tage und Wochen in allen Einzelheiten sehr deutlich vor mir. Ich konnte aber bald meiner Arbeit wieder ungestört nachgehen und mich an der Entwicklung meines Kindes freuen, der in seinen Zügen und mit den schönen großen Augen seiner Mutter ähnelte. Lilly konnte ihre Konzertreisen wieder aufnehmen, die sie nach Rußland, Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, England usw. führten. Die Pausen zwischen den Reisen füllten wir mit Besuchen in meiner böhmischen Heimat aus, wo ich arbeitete und wunderbare Motive und Modelle fand
Mein Verlangen, einmal die Alpen in nächster Nähe zu sehen, ihre klare Luft zu atmen, dort Studien zu machen, sollte 1906 in Erfüllung gehen, als ich mit Lillian und meinem Sohn Adrian nach St. Moritz fuhr. Auf der Reise nach Italien fährt man zu schnell an der Welt der Alpen vorbei. In Frankfurt wurde Station gemacht,um die Sehenswürdigkeiten zu genießen und um meinen Jungen durch die lange Fahrt nicht zu überanstrengen. Frankfurt war mir durch die freundliche Aufnahme, die mir Hans Thoma und seine Frau dort gewahrten, in angenehmer Erinnerung. Dort hatte ich, als ich mich 1898 zum erstenmal auf meiner Italienreise befand, im Zoologischen Garten verschiedene Studien gemacht, die Thoma so gut gefielen, daß er mir riet, mich in Frankfurt niederzulassen. Damals wußte ich noch nichts von Lillian Sanderson, insbesondere nicht, daß sie in Frankfurt 1887 - 88 und 1889 - 90 bei dem berühmten Sänger und Gesangslehrer
Stockhausen
Unterricht gehabt hatte. Ich wollte also auch sehen, wo sie damals gewohnt und wo Stockhausen gelebt hatte, dabei wurden leider aber auch sehr unangenehme Erinnerungen an die Schilderung meiner Frau von ihrer qualvollen früheren Ehe wieder in mir wach, die ich längst für verschüttet gehalten hätte. Beim Besichtigen all der Frankfurter Schönheiten ka-men wir dann endlich wieder auf andere Gedanken. Dann ging unsere Fahrt - lang aber herrlich - bis St. Moritz, das im Vergleich zum heißen Frankfurt recht kühl war. Ich war von der wunderbaren Landschaft hell begeistert und machte mich gleich
an einen Plan, der es mir ermöglichen sollte, viel zu sehen und viel zu arbeiten. Im Hotel Stahlbad, wo wir abgestiegen waren, erfuhr ich durch den Arzt Bernhardt von der alten italienischen Kopie der Sixtinischen Madonna. Es wurde behauptet, dieses im Hotel Batrutt befindliche Bild sei das Original und die Dresdner Madonna die Kopie. Ich stellte das Bild unschwer als eine Kopie fest. Der Ausdruck des Gesichtes war gewöhnlich, das Bild schlecht in der Farbe, die beiden Engel im Vordergrund waren Jungen, schmutzig und merkwürdig schwarz. Als hätten sie eben einen Ofen ausgekehrt. Auch fehlte oben ein ganzer Streifen des Bildes mit der Gardinanstange und den Ringen, an denen der grüne Vorhang hängt. Wie vornehm und edel war dies alles auf dem Dresdner Bilde, so überirdisch Ausdruck der Madonna und des Christuskindes, welche Harmonie und welch
wundervoller Gesamtton liegt hier über dem ganzen Bilde. Ungefähr um 1906 herum wurde das Badruttsche Bild zum Vergleich
nach Dresden gebracht. Eine Anzahl namhafter Kunstgelehrter aus allen Teilen Deutschlands, auch Bode, hatten Gelegenheit, die beiden Bilder in der Gemäldegalerie zu vergleichen.
Das Dresdner Bild wurde einstimmig als das Original bezeichnet. Eine andere etwas veränderte alte Kopie der Sixtina besitzt
auch das Museum in Rouen. Durch die Bemühungen des Bologneser Malers Carlo Cäsare Giovanini konnte die Dresdner Galerie für 20 000 Dukaten das berühmte Bild, Raphaels Madonna aus San Sisto erwerben, das bis dahin den Hochaltar der Klosterkirche San Sisto zu Piaconza schmückte. Das Bild war 1754 unter der Regierung Rönig August III, nach Dresden gekommen. Der oben erwähnte Arzt Dr. Bernhardt besaß auch mehrere wundervolle Oelstudien Segantinis, die er als Gegenleistung für ärztliche Hilfe erhalten hatte. Im Museum von St. Moritz war Segantini mit großen Alpenlandschaften vertreten, großartige Naturschilderungen farbig wunderbar und ganz eigenartig, so die klare Gebirgsluft gemalt. Alle Bilder waren direkt vor der Natur entstanden und mit interessanten Staffagen aus dem Engadin versehen. In St. Moritz habe ich viel gemalt und gezeichnet , auch Zeichnungen leicht mit Wasserfarben getönt und alle Studien gleich an Ort und Stelle an Engländer und Amerikaner verkaufte, die sich zahlreich hier aufhielten. In Meloja besuchte ich Segantinis Frau, eine einfache freundliche Italienerin, die mir Arbeiten ihres Mannes zeigte, der 1858 in Arco geboren und 1899 im Engadin auf dem Schafberg an Blinddarmerkrankung gestorben ist. Ich unternahm Touren und das Bergsteigen bekam mir recht gut. Unser kleiner Adrian erholte sich prächtig. Ein besonderes Erlebnis war es für ihn, als er auf dem Rosseggletscher durch das Fernglas Gemsen sehen konnte. Auf unserer Rückreise besuchten wir den Bodensee, Lindau, Friedrichshafen, Konstanz und den Rheinfall bei Schaffhausen, das ein herrliches Motiv war, den ich viel gemalt und gezeichnet habe und der mich immer auf's neue begeisterte. Ich hatte immer Glück, ihn bei Hochwasser zu sehen, denn bei niedrigen Wasserstand soll er, wie mir wiederholt gesagt wurde, einen sehr zahmen Eindruck machen. Über das schöne Nürnberg mit all seinen Schätzen ging es dann wieder heimwärts, wo meine Frau als Sängerin und Lehrerin und ich als Maler, Zeichner, Radierer und Lehrer an der Staatlichen Akademie tätig waren.
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Der Weltkrieg
Foto:Im Kriege 1915
So kam die Zeit, in der sich am politischen Himmel langsam trübe Wolken zusammenzogen und wo man schon zweifelte, ob es nicht besser sei, daheim zu bleiben. Bekannte in Italien sahen mit großen Sorgen der Zukunft entgegen. Das törichte Gerede auch kluger Menschen, wie: Der Krieg könne höchstens 14 Tage dauern mit den modernen Waffen! oder es handele sich nur um ein österreichisches Problem, konnte den Krieg nicht aufhalten. Plötzlich war er erklärt und schon am 3. Tage wurde ich im Alter von 40 Jahren zum Heere einberufen. Schon 2 Tage später ging es nach dem Westen ab. Ich konnte per Auto schnell noch einmal nach Loschwitz fahren und von meiner Frau und Kind Abschied nehmen. Es wurde mir beim Betrachten meines schon schlafenden Jungen herzlich schwer und ich fühlte die schweren Gedanken meiner weinenden Frau. Vom Güterbahnhof Friedrichstadt ging die Fahrt ab und die Stimmung der Kameraden, es waren fast alle verheiratete Männer, war recht gedruckt. Jeder war mit den Gedanken bei seinen Lieben und legte sich wohl die Frage vor, ob er sie wiedersehen würde. Im dunklen lagen saßen wir eng zusammengedrückt. Und über 80 Stunden mußten wir so sitzen, die Beine schwollen uns an, wir durften den Zug auch bei Aufenthalt nicht verlassen. Auf meinem Vorschlag hin konnte sich dann jeder Kamerad eine Weile im Closett aufhalten und sich dort wenigstens frei bewegen. Es dauerte recht lange, bis der Buchstabe "M" dran war und dann mußte ich den ersehnten Raum auch bald wieder verlassen, weil ein anderer mit dem Buchstaben "M" auch den gleichen Genuß erwartete. Von Kriegsbegeisterung war nichts zu spüren. Wir hofften nur, daß bald noch ein Wagen angehängt wurde, damit wir uns einmal legen könnten. Die große Langeweile und das Nichtstun führten uns nach und nach zu allerhand Betrachtungen, Theorien, Politik, Religion, Kultur des Menschen, alles das wurde gründlich untersucht und viel dummes Zeug wurde ganz ernst behandelt. Mancher, der in seinem Leben nie an Weltbetrachtung gedacht hatte, trat als Redner auf und fühlte sich in seinem Sprechanismus, man hätte sich totlachen oder aber über ihn herfallen können. Da hatte mancher keine Ahnung von Politik und Weltgeschehen und Weltzusammenhängen. Kurz, auf diese Gespräche folgten Witze, helles Auflachen ertönte und manchmal wäre es auch bald zu Schlägereien gekommen, wenn sich der Redner nicht ganz geehrt fühlte oder zu stark gehänselt wurde. Langsam vergaß man den Ernst der Situation, und doch wußte keiner was ihm bevorstand und wo wir eingesetzt wurden. Bald hörten wir das Donnern der Geschütze, das Einschlagen und Explodieren der Geschosse. Es war in der Richtung nach der Festung Givet. Wir marschierten oben vom Gebirge herab über Anserenne in die schon brennende Stadt Dinant ein. Wir waren mitten im Feuer, aus allen Ecken wurde geschossen und ein jeder war auf seine eigene Haut bedacht.
Bald wurde es ruhiger und wir bezogen unsere Quartiere in Ruinen von abgebrannten Häusern. Der Name der Stadt Dinant war mir durch den Maler Antonio Joseph Wiertz 1806 - 1869 geläufig. Als bald Schreiber, Zeichner, Photographen, Maler, Techniker ausgesucht wurden, meldete ich mich als Zeichner und wurde dem Stabe zugeteilt und wurde überall hingeschickt, weil meine Zeichnungen ganz besonders durch Richtigkeit, Licht und Schatten und bildmäßige Auffassung auffielen. Ich erhielt besondere Aufträge und fand zwischendurch auch Interessantes für meine eigene Zeichenmappe. Als ich nach der Festung Givet gesandt wurde, wußte ich, daß in Girges die Überreste von Graf Egmont und Horn bestattet waren, die am 5.6.1568 in Brüssel enthauptet worden waren und der Pfarrer zeigte mir ein freundliches Entgegenkommen, führte mich in die Kirche und ließ den Podest vor dem Altar wegnehmen. In einem schon geöffneten Bleisarg lagen die Skelette der beiden, die Schädel zwischen den Beinknochen. Der Name Egmont hatte durch Beethoven einen besonderen Klang für mich, ich hatte nie gedacht, daß ich einmal seiner sterblichen Hülle gegenüberstehen wurde. Ich machte mich sofort ans Zeichnen, das recht schwierig war, denn ich mußte mich, um durch die schmale Öffnung im Boden sehen zu können, auf den eiskalten Steinboden legen. Infolge meiner Zeichenausflüge und weil ich oft an Transporten von Truppenteilen, Pferden, Holz usw. teilzunehmen hatte, lernte ich ganz Belgien kennen. Namur - der Maler u. Radirer Rops stammte hierher - interessierte mich sehr. Ich lernte Löwen mit seinem wundervollen Rathaus kennen. In der dortigen Universität lag ich einige Tage und habe dort aus Verzweiflung über das schlechte Wetter die Treppe von oben nach unten gezeichnet, (Eine Perspektivarbeit). In Mecheln habe ich viel im Dom gezeichnet. An Brüssel denke ich mit Schaudern. Dort habe ich in einer Hundekälte im Güterbahnhof in einem eisernen Regal geschlafen und die ganze Nacht wie ein Hund gefroren, da ich ganz durchnäßt war. In Antwerpen habe ich die Forts gezeichnet, leider waren alle Museen geschlossen. Die Werke von Rubens und van Dyck waren nicht zu sehen. Ich mußte viel an Wilhelm Busch denken, der in seinen Erinnerungen viel von Antwerpen erzählt hat. Hier überraschte mich General von Falkenhayn
beim Zeichnen, Er zeigte sehr großes Verständnis für das Blatt und fragte: Sind sie etwa Richard Müller? Als ich das bejahte, erzählte er, daß er viele Arbeiten von mir von Ausstellungen her kenne. Als er erfuhr, daß ich schon eine Reihe von Zeichnungen in belgischen Städten gefertigt hätte, meinte er, das würde Majestät sehr interessieren. Er stellte mir ein Auto zur Verfügung, ich sollte alle meine Zeichnungen zusammenholen und sie nach dem Hauptquartier bringen. Bald erhielt ich telephonischen Bescheid, daß der Kaiser sich sehr für die Zeichnungen interessiere, ich solle am 1. Osterfeiertag sein Gast sein, er wünsche mich nach dem
Ostergottesdienst
zu sprechen. Er interessierte sich auch für die technische Seite der Zeichnungen, d.h. ob Zeichnungen mit Bleistift, Tusche, Kreide usw. gefertigt waren. Bei Tisch sollte ich ihm alles ausführlicher erzählen. Bei der Tafel, es waren 2 Prinzen, insgesamt acht bis neun Herren zugegen - unterhielt er sich mit mir - ich saß ihm gegenüber. Er kannte fast alle meine Bilder von Ausstellungen und erwähnte besonders das Bild: "Mäuse in der Glasglocke"
. Man hätte, so meinte er, das Bild höher hängen müssen, um die Feinheiten der Arbeit noch besser erkennen zu lassen. Auch fragte er nach dem Verbleib des Bildes: "David und Goliath". Ich war über das große Interesse ebenso erstaunt, wie darüber, da Kaiser so gut über meine Arbeiten informiert war. Bei der Erwähnung des Namens meiner Frau entsann er sich ihrer genau, auch wußte er, daß ein Hofkonzert, in dem meine Frau singen sollte, wegen Bismarcks Tod abgesagt worden sei. Größtes Interesse zeigte der Kaiser auch an Böcklin, Lenbach, Stuck, Klinger, Stauffer-Bern, Geyger, Leibl. Stuck wollte mir später die hohe Meinung des Kaisers über seine Kunst gar nicht glauben, er nahm an, daß man in Berlin und bei Hofe seine Kunst nicht hoch schätzte.
Ein Gesuch der Dresdener Kunstakademie um meine Beurlaubung zur Weiterführung meiner Lehrtätigkeit wurde genehmigt. Die Freude über das Wiedersehen mit Frau und Kind war groß.
In Dresden spürte man den Krieg schon recht an der Ernährung.
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Die Akademie nach dem Kriege
Nach dem Umsturz schlossen sich die Modelle, ob alt oder jung, ob schön oder häßlich, eng zusammen. Sie nahmen eine künstlerfeindliche Haltung ein und stellten Forderungen. Sie wollten alle gleichmäßig beschäftigt sein und regelmäßig verdienen. Jüngere Modelle sollten den älteren nicht mehr vorgezogen werden, ebensowenig weibliche den männlichen. Ich war als starker Mann von der Akademie zu den Versammlungen der Modelle abgesandt worden, um Rede und Antwort zu stehen. Dabei erlebte ich Radauszenen, man prügelte sich, spuckte sich an und riß sich an den Haaren. Schließlich blieb alles so, wie es gewesen war und immer es ja auch bleiben mußte, daß nämlich jeder Künstler selbst bestimmte, welches Modell er für sein Werk braucht. Merkwürdig war, daß auch einige Künstler der geschilderten Idee der Modelle nicht ganz abhold waren, obwohl sie in der Praxis natürlich genau so gehandelt hatten, wie jeder normale Mensch gehandelt hätte. Auch Mensa" der Mittagstisch der Akademieschüler war durch den Krieg schwer betroffen worden. Sie befand sich
am Pirnaischen Platz in Dresden. Da sie dort nicht mehr zu halten war, richteten wir sie in der Akademie selbst ein, um den Schülern, die meisten waren einberufen, und den zurückgekehrten Kriegsverletzten ein billiges Mittagessen zu ermöglichen. Durch diesen Restaurationsbetrieb kam etwas in die Akademie, was nicht in eine Schule gehört. Auch die Reihen der Lehrer lichteten sich. Der Landschaftsmaler Prof. Eugen Bracht ging ab, der Malsaalprofessor Oskar Zwintscher starb schon am 12.2.1916, Gotthardt Kuehl, der ausgezeichnete Organisator der Dresdener Kunstausstellungen und sehr bekannte Maler starb, Carl Bantzer hatts die Altersgrenze erreicht und zog sich nach seiner Heimat zurück. Prof. Robert Diez starb, Prof. Emanuel Hegenbarth, ein sehr guter Tiermaler und Schüler von Zügel starb ebenfalls. Die neuen Kräfte konnten den ausgezeichneten Ruf der Akademie nicht allenthalben rechtfertigen; sie hatte damals ihren Höhepunkt erreicht und überschritten. Auch des Ministerium war nicht mehr das alte. Ich möchte sagen, das Pflichtgefühl und das Bestreben, der Sache zu dienen, ließen zu wünschen übrig. Auch auf Ausstellungen fand man jetzt vielfach Arbeiten, nicht Kunstwerke, die enttäuschten. Ich habe das im Vorstand des Kunstvereins und als Rektor der Akademie gründlich zu spüren bekommen und in der Praxis gründlich kennen gelernt. Leute mit ganz geringem Können sprechen überall mit und erzählen von neuen Problemen in der Kunst. Die Kritik machte mit und fand sie richtigen Worte für den Unterbau der Verfallserscheinungen. Aber, der Schüler, der einst als Künstler in der Welt Aufsehen erregen soll, muß ganz frei sein. Gewöhnlich kommt er vom Handwerk zur Kunst - als Stubenmaler, Lithograph, Porzellanmaler, Holzschneider, Steinmetz, Stukateur, Holzbildhauer - er muß sich so gründlich des Studiums der Natur befleißigen, daß ihm keine Zeit bleibt, nach rechts und links zu sehen. Der Schüler muß sich überdies bilden, so in der Anatomie, Perspektive, Architektur, Kunstgeschichte. Er muß wissen, was auf all diesen Gebieten schon geleistet worden ist. Ist er nicht fleißig und immer wieder fleißig, so nützt ihm sein ganzes Kunstgetue nichts. Talente sind immer
da, aber vielfach wird es an wirklichen Könnern fehlen, die sie führen. Vor allem muß der Schüler richtig und zielbewußt studieren, später findet er dazu keine Zeit mehr. Dann reizen ihn auch eigene Ideen zu bestimmtem Schaffen, dann muß er soviel können, daß er diese Ideen auch verwirklichen kann. Das verstehst sich doch eigentlich alles von selbst. Aber es galt damals als unmodern, die Natur zu studieren. Alles sollte von innen heraus geschaffen und geschöpft werden - was aber dann, wenn innen nichts vorhanden ist ? Erst muß einmal etwas in sich aufgenommen werden ! Der Schüler muß kennenlernen, was vor ihm schon an Großem in der bildenden Kunst geleistet worden ist! Auch Studien können Meisterwerke sein, wie das große Künstler bewiesen haben.
Allmählich kamen die politischen Wellen wieder mehr zur Ruhe. Der Verkehr richtete sich langsam wieder ein. Auch in der Akademie kam das Leben wieder in die gewohnten Geleise, eine Anzahl Schüler - viele waren gefallen - füllten die Ateliers wieder. In diesem Zusammenhange gedenke ich nochmals der "Mensa" des studentischen Mittagstisches, der es wenig bemittelten Akademikern gestattete, in eigenen Räumen ein billiges, nahrhaftes Essen einzunehmen. Die Mittel flossen der Mensa durch den Gewinn zu, den das jährliche Gauklerfest der Akademiker abwarf. Es war ein Künstlerfest, das in jeden Winter stattfand und an dem ganz Dresden wärmsten Anteil nahm. Immer glänzend besucht, erzielte es einen Reingewinn, der die Aufrechterhaltung der Mensa bis zum nächsten Feste mit Leichtigkeit ermöglichte. Eingeleitet wurde des Fest durch einen Umzug, der Reklame machen sollte, und schon hierbei konnten die Dresdner recht witzige, geistreiche und originelle künstlerische Einfälle bestaunen, die meist energisch auf die Lachmuskeln wirkten! Beim Feste selbst waren die merkwürdigsten, teils urwüchsigsten Aufführungen
zu sehen, die die Künstjünger boten und mit denen sie die Festgäste von abends bis früh köstlich unterhielten.
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Otto Greiner
Das Bild"Japanische Tanzmäuse in der Glasglocke auf einem roten Tisch" entstand im Jahre 1910 in Loschwitz. Es erregte auf Ausstellungen durch die feine Naturbeobach-tung der Mäuse und feinster Durchführung der Einzelheiten und nicht zuletzt durch die Farbe immer großes Aufsehen. Die Ausstellungsleitung in Rom bat mich, dieses Bild zur Ausstellung zu schicken und erwähnte auch, wann dasselbe dort in der Ausstellung eintreffen mußte. Rechtzeitig sandte ich durch die Post das Bild, wohl schon 14 Tage vorher traf das es dort ein. Nach der Eröffnung ließ ich mir einen Katalog schicken und wunderte mich, daß das Bild im Katalog nicht erwähnt wurde und auch nicht ausgestellt war. Nach Schluß der Aus-stellung erhielt ich das Bild wieder zurück, sah an der Verpackung, daß die Kiste ausgepackt worden war, also man das Bild gesehen hatte. Ich fragte bei der Ausstellungsleitung an und erhielt als Antwort, daß es zu spät eingetroffen sei und deshalb nicht ausgestellt werden konnte. Viele Jahre später war ich in Rom und der Kunstverein Dresden bat mich, bei der Witwe von Otto Greiner, (der im Weltkrieg gestorben war) mehrere Bilder, Radierungen und Lithographien für den hie-sigen Kunstverein in Dresden auszusuchen.
In einer Lehrerversammlung erzählte ich über Rom und auch über die Werke von Otto Greiner und seinem Atelier, das früher Max Klinger inne hatte. Ich lobte sehr die Arbeiten, wenn auch manche Werke stark an Max Klinger erinnerten. Mein Lob über Greiners Werke war wohl Professor Richard Dreher (Lehrer an der Akademie) zu viel und er sagte mir: " Wissen sie nicht, daß Greiner seinerzeit dafür gesorgt hat, daß ihr Bild "Japanische Tanzmäuse in der Glasglocke" nicht ausgestellt wurde"? Das war mir natürlich ganz neu und endlich erfuhr ich den Grund. Das zu späte Eintreffen war also eine Ausrede. Das Bild fiel auch in Rom bei der Ausstellungsleitung sehr auf und Otto Greiner befürchtete, es könnte prämiert werden. Greiner kannte ich durch Max Klinger sehr gut und wenn ich in Rom war, besuchte ich ihn und er zeigte mir alle seine Arbeiten, zeigte mir Rom und seine Umgebung. Wir waren von früh bis Abend zusammen. Daß der Neid unter Künstlern soweit gehen kann, hielt ich bis dahin für ausgeschlossen. Natürlich konnte meine Einstellung zur Kunst von Otto Greiner dadurch nicht erschüttert werden. 1912 erhielt ich mein Bild "Ein Geistlicher" die große Österreichische Staatsmedaille in Gold.
1915 vom Carnegie- Institut in USA die große silberne Medaille auf das Bild
"Leimers Ziege "
, d.h., in Besitz habe ich sie wegen des Krieges nie bekommen. Als ich das Bild 1927 oder 28 zurück erhielt, wunderte ich mich sehr, daß man es bei dem schlechten Firnisüberzug, der es ganz gelb und braun erscheinen ließ, ausgezeichnet hatte. Die Dresdner Gemäldegalerie erwarb das Bild
"Drei Hunde"
Das Stadtmuseum kaufte das Bild
"Im Sonnenbad "
ein weiblicher Akt mit grünem Schirm. Ich habe es später auf Wunsch des Stadtmuseumsdirektors gegen ein
Porträt meines Vaters, Kniestück mit einem Webschützen in der Hand, umgetauscht. Das Bild "Im Sonnenbad " stellt einen lebensgroßen Akt dar. Es wurde auf dem Balkon meines Hauses gemalt, und das Sonnenlicht verursachte auf dem Körper des Modelles, auf den es durch den grünen Schirm fiel, interessante Reflexe. Das Modell war eine Russin, die Frau einem Artisten, die mich bat, sie als Modell zu beschäftigen. Das Bild ist von Anfang bis Ende vor der Natur gemalt.
"Artikel von Franz Hermann Meissner über Müller, 1921"
"Jacob Breit über Richard Müller"
Über meine Entlassung aus der Akademie
Es war ein großer Fehler, einen ehemaligen Lehrer, der von Kunst nichts verstand, plötzlich zum Kultusminister von Sachsen zu ernennen, der von diesem Moment an glaubte, die Kunst allein bestimmen zu können. Dauernd hatte ich mit ihm in meiner Eigenschaft als Lehrer und vor allem als Rektor in den Sitzungen des Akademischen Rates- dem ich seit 1921 fast ununterbrochen angehörte - und in anderen Sitzungen Reibereien mit ihm.
Da ich nun als Fachmann merkte, daß dieser Herr der Kunst ganz fern stand und ich ihn als Fachmann dauernd korrigieren mußte, trug er sich mit dem Gedanken, mich aus dem Wege zu räumen.
(Anmerkung: Ein Gremium dem ausser zwei Beamten noch die Professoren Otto Dix, Max Feldbauer, Georg Lührig, Ferdinand Dorsch, Wilhelm Kreis und Karl Albiker angehörten, wählte Müller 1933 zum Rektor der Dresdner Akademie. Am 6. April des gleichen Jahres bekam Müller vom Reichskommissar v.Killinger die dienstliche Anweisung, seinen Kollegen Otto Dix zu entlassen. Persönlich schätzte Müller Dix zwar wegen seines künstlerischen Könnens, lehnte aber seine "vulgären" Sujets und seinen Lebenswandel ab. [Pikanterweise wurde Müller 1935 aus ganz ähnlichen Gründen entlassen.
Ausserdem gab es lt. Bericht der Malerin Käthe Matthaei *28.07.1915, Studentin an der Dresdner Kunstakademie 1933/34, massive Beschwerden der Modelle an das Rektorat bezüglich ständiger sexueller Belästigungen durch Prof. Dix] Richard Müller wurde 1935 aus dem Rektorenamt entlassen, u.A. wegen "zersetzender Tendenzen" in seiner Kunst. s.dazu: Ausschnitt 1Ausschnitt 2
Nach seiner Enlassung schlug sich Richard Müller bis 1945 mit Auftragsarbeiten durch. Sein einziger großer Auftrag war eine Zeichnungsserie zu den "Stätten des Führers", über die er nachfolgend Aukunft gibt.
Es waren dies eine Serie unspektakulärer Landschafts- und Interieurzeichnungen ohne eigentliche politsche Aussage.
Diese Zeichnungen erhielt Hitler jedoch nie. Immerhin war Müller 1935 aus der NSDAP, der er seit seiner Ernennung zum Rektor 1933 angehörte,wegen "Bestrebungen, die der NSDAP zuwidergehandelt" hätten (§ 4 Abs.2b der Satzung) ausgeschlossen worden. Zudem hat Hitler persönlich Richard Müller am 1. März 1935 in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Umso seltsamer, dass wenig später der sächsische Reichsstatthalter Martin Mutschmann, auf dessen Anordnung Müller kurz vorher entlassen worden war, diesen mit der Schaffung einer Serie von Zeichnungen, die Hitlers Kindheit und Jugend illustrieren sollten, die Hitlers Kindheit und Jugend illustrieren sollten, beauftragte. Das war wohl keine gute Idee, weil zum Ersten Hitler nur ungern an seine miserable Kindheit erinnert wurde und es sich zum Zweiten um Arbeiten eines durch Parteiausschluss und Entlassung quasi "geächteten" Künstlers handelte. So blieben die Blätter in Dresden. Sie landeten im Depot des Stadtmuseum und wurden später an R.Müller zurückgegeben.) Weiter unten im Text berichtet Richard Müller über die ganze Geschichte.
1948 wurde Müller ein Prozess gemacht, in dem ihm die Organisation der Ausstellung "Spiegelbilder des Verfalls" in Dresden - Vorläufer der Ausstellung über Entartete Kunst - zur Last gelegt wurde. Trotz der berüchtigten stalinistischen Prozessführung in dieser Zeit wurde Richard Müller von diesem Vorwurf freigesprochenund als "Minderbelastetet" eingestuft ( die Direktive 38 des Kontrollrats besagt: Minderbelastet ist insbesondere...Wer ohne Hauptschuldiger zu sein zwar als Belasteter erscheint, sich aber frühzeitig vom Nationalsozialismus und seinen Methoden unzweideutig und offenkundig abgewandt hat.) Sowohl Dr. Fritz Löffler, der Nestor der Dresdner Kunstgeschichte als auch Paul König, der damalige Verwalter des Dresdner Stadtmuseums, bestätigten, dass Müller nicht am Aufbau jener Ausstellung beteiligt war. Lediglich ein - ihm selbst später peinlicher - Zeitungsartikel über die Schau im Lichthof des Dresdner Rathauses, den er im Auftrag des Dresdner Bürgermeisters Zörner verfasste, wurde ihm vorgeworfen. Hier die offizielle Aussage der Dresdner Kunsthochschule zu den Vorwürfen, die Müllers Wirken in viel positivererem Lichte zeigt als es die Kunstgeschichtsschreibung bis dato beschreibt: Blatt 1....Blatt2
Hier Müllers Stellungnahme, 1948 formuliert im Schriftsatz an das Gericht: Seite 1.........
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